Sudan-Krieg: USA beschuldigt RSF des Völkermordes

Im Schatten von Ukraine und Gaza ist der Krieg im Sudan zur größten humanitären Katastrophe der Welt mutiert. Nun werfen die USA der RSF-Miliz offiziell Völkermord vor. Das erhöht den Druck auf deren Finanzierer, die Vereinigten Arabischen Emirate – einem US-Verbündeten im Nahen Osten
Als die Angreifer kamen, suchte die Lehrerin Nima, 43, gemeinsam mit ihren Nachbarn verzweifelt nach einem sicheren Ort. In Polizeistationen, Schulen, Moscheen. Doch es gab kaum ein Entkommen mehr in der sudanesischen Stadt El Geneina, im Westen der Darfur-Region. Die Mörder der paramilitärischen Miliz „Rapid Support Forces“ (RSF) kletterten über Mauern, töteten an diesem Tag im Juni 2023 über 80 Menschen in ihrem Stadtteil. Nima gelang die Flucht, wie durch ein Wunder. Einige Leichen waren völlig verstümmelt worden.
Nun lebt Nima auf einem Plastikstuhl im Aboutengue-Flüchtlingslager im Tschad. Mit viel Glück konnte sie sich wie Hunderttausende ihrer schwarzafrikanischen ethnischen Gruppe, den Massalit, über die Grenze in Sicherheit bringen. In dem Nachbarland, das zu den ärmsten der Welt zählt, sind die Behörden zwar völlig überfordert mit den Flüchtlingsströmen. Aber immerhin lebt sie. „Sie hatten es auf uns Massalit abgesehen“, sagte Nima beim Besuch dieser Zeitung in Aboutengue im September, „was im Sudan passiert, ist ein Genozid.“
Nach knapp 21 Monaten des Bürgerkrieges zwischen der RSF und dem sudanesischen Militär hat sich dieser Einschätzung am Dienstag auch die USA angeschlossen. Außenminister Antony Blinken sagte, die RSF habe Völkermord begangen und bezog sich damit explizit auf die Region im Westen Darfurs, die lange das Zuhause von Lehrerin Nima war.
„Die RSF und verbündete Milizen haben systematisch Männer und Jungen, sogar Säuglinge, auf ethnischer Basis ermordet”, sagte der Politiker. Frauen und Mädchen aus diesen Volksgruppen seien mit brutaler sexueller Gewalt gezielt ins Visier genommen. Flüchtende seien ermordet worden, Lebensmittellieferungen für verbleibende Zivilisten seien blockiert worden. Die RSF verurteilte den Schritt der USA als „Scheitern im Umgang mit der Sudan-Krise“. Sie offenbare zudem „Doppelstandards“.
Als Parteinahme in dem Konflikt, in dem auch der RSF-Feind, die sudanesischen Streitkräfte, erheblicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, wollen die USA die Verlautbarung jedoch ausdrücklich nicht verstanden wissen. Doch die Klassifizierung als Genozid, wohl eine der letzten außenpolitischen Handlungen der Administration von Präsident Joe Biden, bringt neue Dynamik in die internationale Reaktion auf den Krieg. Sie verpflichtet gemäß der Völkermordkonvention zu Maßnahmen, um Massenverbrechen zu verhindern. Und die Täter zu verfolgen.
Allzu große Erwartungen haben Beobachter nicht, einer der Beweggründe dürfte die anhaltende Kritik an den USA sein, die Beilegung des Konflikts nur halbherzig verfolgt zuhaben. Zudem hat die Einstufung durch die USA weniger Wucht als etwa durch die Vereinten Nationen. Der Nachweis eines Genozids ist nicht nur auf diplomatischer Ebene, sondern auch logistisch ein kompliziertes und langwieriges Unterfangen, in der Geschichte der UN wurde dieser Schritt erst für drei Konflikte vollzogen, die sich nach Unterzeichnung der Konvention im Jahr 1948 ereigneten: die Völkermorde in Ruanda (1994), in Srebrenica (1995) und den Völkermord an den Jesiden durch den Islamischen Staat (ab 2014).
Beim eindeutigen Völkermord in Darfur im Jahr 2003, für den maßgeblich die RSF-Vorgängermiliz Janjaweed verantwortlich war, wurde dieser Begriff ebenfalls von den USA, nicht aber in einer UN-Resolution verwendet. Die UN-Unterstützung der Völkermord-Anklage gegen den damaligen sudanesischen Diktator Omar al-Bashir durch den Internationalen Strafgerichtshof gilt jedoch als indirekte Klassifizierung.
Doch im aktuellen Krieg steigt durch die Maßnahme der USA der internationale Druck auf die RSF auch so. Das liegt weniger an den Sanktionen, die das Finanzministerium gegen den RSF-Anführer Mohamed Hamdan „Hemedti” Dagalo verhängte. Sondern vielmehr daran, dass sich die Mitteilung so deutlich wie nie gegen die internationalen Finanzierer und Waffenlieferanten der RSF richtete: die Vereinigten Arabischen Emirate. Denn auch gegen sieben Unternehmen des Golfstaates, im Nahen Osten ein US-Alliierter, wurden demnach Sanktionen verhängt. Sie hatten US-Angaben mit Dagalo Waffen- und Goldhandel betrieben.
Im Aboutengue-Flüchtlingslager berichtete Lehrerin Nima, dass es die RSF im Verbund mit anderen Milizen vor allem auf die Felder der Massalit-Bauern abgesehen habe. Aus ihrer Heimatstadt El Geneina sei ihr Volk vollständig vertrieben worden. Die angreifenden Gruppierungen würden überwiegend in arabischen Ethnien rekrutieren, die traditionell als Viehhirten tätig seien. „Diese Leute sind gierig“, sagte Nima, „sie wollen erobern.“
Und töten, Beobachter gehen von Zehntausenden Opfern aus. Für viele Zugehörige der Massalit-Ethnie kommt die Maßnahme der USA zu spät.