Ostkongo-Krieg: Plötzlich Vize-Gouverneur

Wie ein IT-Manager aus Kanada von den M23-Rebellen im Kongo von einem Tag auf den anderen zum zweitmächtigsten Mann einer eroberten Provinz gemacht wurde – zu dessen eigener Überraschung
Als der M23-Rebellenführer ihn den Massen als den neuen Vize-Gouverneur der gerade eroberten Stadt vorstellt, da steht Manzi Willy Ngarambe ein wenig zurückhaltend von seinem Stuhl auf der Bühne auf. Er rückt nervös lächelnd seinen Anzug zurecht, tritt nach vorne, winkt den 50.000 im Stadion von Kongos Millionenstadt Goma kurz zu. Es gibt höflichen Applaus. Doch die meisten kennen den 39-Jährigen nicht, der ihnen als „junge, lebhafte Kraft“ vorgestellt wird. Und der fortan zweitmächtigster Mann ihrer Provinz Nord-Kivu sein wird.
Er war acht, als er einst Nord-Kivu verlassen musste. Die mordenden Hutu-Milizen, die nach ihrem Genozid an den Tutsi in Ruanda im Jahr 1994 in den Kongo geflüchtet waren, machten auch dort Jagd auf die Tutsi-Minderzeit. Er und seine Mutter überlebten. Sein Vater nicht.
Erst wer diesen Massenmord bedenkt, der versteht die aktuellen Vorgänge im Kongo, sagt Ngarambe. Kongos amtierender Präsident Felix Tshisekedi habe bis zuletzt Hutu-Milizen und damit die anhaltenden Verbrechen gegen die Tutsi unterstützt. Als Aktivist hatte Ngarambe in den sozialen Medien mobilisiert, von Kanada aus, wohin er nach seiner Jugend in Flüchtlingslagern in Ruanda und Uganda von den Vereinten Nationen umgesiedelt worden war. In Nord-Kivu war er seit der Kindheit nur bei Besuchen. Jetzt regiert er es.
Seine Geschichte illustriert wie kaum eine andere die Wirrungen dieses Krieges, der sich zum Flächenbrand in Ostafrika auszuweiten droht. 400.000 Menschen wurden allein seit Anfang des Jahres infolge der Kämpfe zwischen der M23 und Kongos Armee vertrieben. 2900 Tote gab es laut UN-Angaben bei der einwöchigen Eroberung von Goma, eine Zahl, die wegen deutlich geringeren Angaben von Hilfsorganisationen und Krankenhäusern jedoch umstritten ist. Die Rebellen kontrollieren die gesamte Nord-Kivu-Provinz, ein rohstoffreiches Gebiet so groß wie die Schweiz.
Und sie marschieren auch in Süd-Kivu vor, haben dort gerade Bukavu eingenommen, das administrative und wirtschaftliche Herz der Region. Selbst das erklärte M23-Ziel, den Sturz der Regierung im 1500 Kilometer weit entfernten Kinshasa, halten einige Beobachter nicht mehr für ausgeschlossen. Das weckt Erinnerungen an den Zweiten Kongokrieg Ende der neunziger Jahre. Es war der mit über drei Millionen Toten und zahlreichen involvierten afrikanischen Staaten der verheerendste Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die Rebellen-Truppen, die UN-Angaben zufolge von Ruanda mit bis zu 4000 Soldaten und Waffen unterstützt werden, sind weit besser ausgerüstet als die unterbezahlten Soldaten (80 Dollar Monatslohn) der desolaten kongolesischen Armee. Tshisekedi lehnt Verhandlungen mit M23-Anführer Corneille Nangaa dennoch weiter ab.
Bei der Besetzung von Bukavu gab es diesmal weniger Widerstand, allerdings vermeldeten die UN auch hier grausame Verbrechen. So habe die M23 drei offenbar bewaffnete Kinder exekutiert. Ein Sprecher forderte „Ruanda und die M23“ auf, Menschenrechte und internationales Recht zu respektieren. Vize-Gouverneur Ngarambe dementiert die Vorwürfe. „Wir haben das überprüft, das ist nicht wahr“, sagt er, „wir haben das Leben von Tausenden besiegten Soldaten und Polizisten verschont – warum sollten wir dann Kinder töten?“
Die UN-Truppen seien nicht neutral, sondern würden an der Seite von Kongos Armee und deren alliierten Milizen kämpfen. „Wir haben in ihrem Quartier Protokolle ihrer Treffen mit diesen Gruppen gefunden“, behauptet Ngarambe. Als Quelle für Verlautbarungen wie zu den getöteten Kindern seien die Vereinten Nationen entsprechend nicht glaubwürdig. Allerdings stützt auch eine Recherche der französischen Zeitung „Libération“ die Darstellung der UN zu den getöteten Kindern. Sie hatten sich, so berichteten Zeugen dem Blatt, den M23-Truppen entgegengestellt und dabei offenbar auch Waffen eingesetzt. Daraufhin seien sie von den Rebellen getötet worden.
Wer Ngarambe in diesen Tagen in Goma beobachtet, der erlebt ein bisweilen surreales Szenario. Bei seiner Vereidigung im Dienstsitz des Gouverneurs etwa, auf einem idyllischen Grundstück direkt am Ufer des Kivusees. Dort legt er vor der kongolesischen Flagge mit erhobener Hand seinen Amtseid ab, Rebellenführer Nangaa und die versammelte politische M23-Elite stimmen Kongos Nationalhymne an. Zwei Tage vorher war er angereist, ohne seine konkrete Aufgabe zu kennen. „Es war klar, dass ich eine Rolle innerhalb der Bewegung übernehmen würde“, sagt er, „aber ich habe eher mit einem Bürgermeisterposten in einer kleineren Stadt gerechnet. Der Posten des Vize-Gouverneurs war eine Überraschung.“ In Kanada blieb ihm nicht einmal die Zeit, seinen bisherigen Bürojob zu kündigen.
In Windeseile bauen die Rebellen eine Parallelregierung auf, die besser funktionieren soll als die des Kongos. Während der vergangenen Jahre hatte sich die Sicherheitslage in Nord-Kivu massiv verschlechtert, die Lage in der Provinz zeigte alle Merkmale eines gescheiterten Staates. Kinshasa gab dafür der M23 die Verantwortung. Die Rebellen dagegen sehen die Schuld bei Kongos Regierung, die auf die systematische Bewaffnung verbündeter Milizen setzte. „Sie haben Goma zu Tode militarisiert“, sagt Ngarambe.
Doch die Banken sind weiter geschlossen, schließlich unterliegen sie dem Mandat der Zentralbank in Kinshasa. „Das Problem werden wir innerhalb einer Woche gelöst haben“, sagt er. Wie? Darüber könne er noch nicht reden. Die Lehrer und andere Verwaltungsmitarbeiter warten weiter auf ihre Gehälter. „Die sind seit September von Kinshasa nicht mehr bezahlt worden“, hält Ngarambe dagegen. Man habe ein völlig kollabiertes System vorgefunden. Nicht alles lasse sich sofort korrigieren.
Vorrang habe zunächst die Sicherheit, die sei zumindest in Goma „zu 99 Prozent“ wieder hergestellt, sagt Ngarambe. Für die Tutsi, aber auch alle anderen ethnischen Gruppen. Er kämpfe für die Rettung seiner Heimat vor Gewalt und Korruption, „und nicht Mineralien, Mineralien, Mineralien, wie ihr Journalisten immer wieder behauptet“. Auch der Strom und das Internet seien restauriert, in vielen Gegenden sogar ausgebaut. „Dafür, dass wir erst wenige Wochen hatten, ist es eine gute Bilanz.“
Wie so ziemlich jeder hochrangige M23-Rebell in Goma dementiert Ngarambe eine Beteiligung Ruandas im Kongo, das zeitgleich mit Beginn der Revolution im Kongo seine Exporte kritischer Rohstoffe derart auffällig erhöhte, dass Branchenbeobachter von verstärktem Schmuggel aus dem Kongo ausgehen.
Doch selbst Ruandas Präsident Paul Kagame bestreitet seine Involvierung nur halbherzig. Auf eine entsprechende Frage antwortete er dem Fernsehsender „CNN“ kürzlich: „Ich weiß es nicht.“ Wenn die Frage aber laute, ob Ruanda bei einer Bedrohung aus dem Kongo alles tun werde, um sich zu verteidigen, „dann würde ich sagen: zu 100 Prozent.“ Ein Dementi klingt wahrlich anders.
Kagame baut darauf, dass sein Land für den Westen strategisch so bedeutend geworden ist, dass es nicht mit nennenswerten Sanktionen rechnen muss. Ruanda stellt weltweit nach Bangladesch die zweitmeisten Soldaten für UN-Friedenseinsätze zur Verfügung – für die Missionen in Darfur, der Zentralafrikanischen Republik und Südsudan sind sie unverzichtbar. Und im Norden Mosambiks bekämpfen ruandische Truppen Islamisten, schützen dabei ganz nebenbei hohe Investitionen Frankreichs. Tatsächlich bleibt die vom Kongo geforderte Streichung der Entwicklungshilfe für Ruanda in Höhe von weit über einer Milliarde Euro aus. Bislang verhängten nur die USA Sanktionen, und das gegen einen einzelnen ruandischen Minister – eine eher symbolische Maßnahme.
Klar ist, dass sich die neuen Strukturen in Goma verfestigen, die M23 hat sich in der Großstadt eingenistet. Der unverhofft zum Vize-Gouverneur aufgestiegene Ngarambe weiß, dass er vor einer komplizierten Aufgabe steht. Eine, die auch gegenüber seiner besorgten Frau nicht leicht zu erklären ist. „Es geht hier nicht um meine Karriere oder Geld, oder was sonst schief gehen kann”, sagt er. Seine Leute hätten hier einst alles verloren und auch 30 Jahre keine Perspektive für eine Rückkehr gehabt. „Es musste etwas passieren. Und meine Frau weiß, dass niemand sein ganzes Leben lang ein Flüchtling sein kann.“
Er bleibt in Goma.