Christian Putsch

In Südafrikas Enklave der Weißen

Christian Putsch
In Südafrikas Enklave der Weißen

Mit seinem Asylangebot hat Donald Trump den weißen Buren in Südafrika weltweite Aufmerksamkeit verschafft. In ihrer umstrittensten Siedlung Orania aber verzichten sie dankend. Ein Besuch

Unter einem Zeltdach sitzen Hunderte weiße Südafrikaner und zeigen, wo sie ihre Zukunft sehen. Keineswegs in den USA, obwohl ihnen Präsident Donald Trump dort Asyl angeboten hat. Sondern hier, in ihrem Ort Orania. Genau in der Mitte Südafrikas.

Am Fuße eines Hügels feiern die Bürger den Jahrestag eines Sieges in den Burenkriegen gegen die Briten – und nicht die Aussagen Trumps. Sie stimmen eine neue Hymne für ihre Ortschaft an. „Gott ruft uns zusammen zu Ehren seines großen Namens“, singen sie, „ein freies Volk ist aufgestanden auf dem Weg nach Orania.“

Auf den ersten Blick ist es ein Farmer-Städtchen wie so viele. 3000 Einwohner, eine Hauptstraße, verschlafene Geschäfte. Häuschen und Vorgärten reihen sich aneinander. Doch Orania ist seit seiner Gründung im Jahr 1991 ein Politikum. Denn dort dürfen ausschließlich „Buren“ leben. Nachfahren der weißen Siedler aus den Niederlanden, Frankreich und Deutschland also, die sich vor Jahrhunderten in Südafrika niederließen.

Die Bürger von Orania sind damit das Gegenteil der multiethnischen Regenbogennation. Und Futter für Trumps Narrativ der von Zeitgeist und Gesetzen unterdrückten Weißen. „Die Vereinigten Staaten werden einen Plan erstellen zur Umsiedlung benachteiligter Minderheiten in Südafrika, die aufgrund ihrer Rasse diskriminiert werden“, hatte der Präsident verkündet. Er meinte die Weißen, nannte zudem explizit die Buren. Südafrikas Regierung wurden alle finanziellen Zuwendungen gestrichen.

Seitdem ist Trumps Angebot Gesprächsthema in Orania. Vor allem für Joost Strydom, 32, den PR-Mann des Ortes. Seit dem Dekret klingelt sein Handy weit öfter. „Wir sind Trump dankbar, dass er uns als Volk genannt und damit ein Stück weit Anerkennung verschafft hat“, sagt Strydom, der in Orania aufgewachsen ist.

142 rassenbasierte Gesetze gebe es aktuell, die Weißen würden systematisch bei der Besetzung von Arbeitsplätzen benachteiligt. Die Zahl der Schulen, in denen Afrikaans gesprochen werde, sinke. Und eine im Januar in Kraft getretene Verordnung erleichtere die Enteignung weißer Farmer.

Es ist nicht ganz klar, wieviele weiße Südafrikaner so denken. Die letzte derartige Umfrage stammt aus dem Jahr 2019, damals antworteten nur zwölf Prozent der fünf Millionen Weißen, sie fühlten sich diskriminiert. Insgesamt sind ihre sozioökonomischen Daten vergleichsweise positiv: Sie haben ein mehrfach höheres Durchschnittseinkommen als die Schwarzen, sind deutlich seltener arbeitslos. Es ist allerdings gut möglich, dass Umfragen inzwischen ein negativeres Bild zeichnen würden, nachdem der ANC trotz seiner Koalition mit der von vielen Weißen gewählten DA zuletzt umstrittene Gesetze durchdrückte.

In Orania ist der Anteil der Skeptiker jedenfalls weit höher als in den meisten anderen Gegenden des Landes. Doch Strydom, 32, kennt niemanden, der einen Umzug in die USA plant. „Meine Vorfahren waren schon 100 Jahre in Südafrika, bevor die USA überhaupt unabhängig wurden“, sagt er, „ich gehöre hier nach Orania – und ich möchte kein Flüchtling sein.“

Gerade die Älteren fürchten, dass ihre Kinder in den USA die Kultur der Buren schnell verlieren würden. Einer erzählt allerdings, dass es schon länger junge weiße Südafrikaner e als Saisonarbeiter in die USA ziehe: „Für die wird es jetzt leichter.“ Trump will  die Lücke schließen, die sich wegen seines Vorgehens gegen undokumentierte Farmarbeiter auftut.

Die US-Botschaft in Pretoria teilt auf Anfrage mit, man habe zur Zahl der Antragssteller „nichts mitzuteilen“. Und zu den Umsiedlungen arbeite man an den „Umsetzungsdetails“ – als Basis für Lebensplanung taugt das bislang nicht. Vor der Botschaft forderten jüngst weiße Demonstranten auch nicht etwa Asyl, sondern Hilfe beim „Verjagen des ANC“, der größten Partei der Regierungskoalition.

So radikal äußern sie sich in Orania nicht. Aber auch hier unterstützt man Buren-Lobbygruppen wie „AfriForum“, die das Trump-Umfeld in Washington beackern. Der südafrikanisch-stämmige Präsidenten-Einflüsterer Elon Musk, den die ausbleibende Marktzulassung von Starlink in Südafrika erzürnt, tut sein Übriges.

In Orania wollen sie weiter ihr eigenes Ding durchziehen. So wie immer schon. Noch während der Apartheid kauften die Stadtgründer die verlassene Siedlung dem Staat ab. Wer hierher zog, wurde auch von den meisten Buren verspottet. Das also sei das Traumland, hieß es es in einer Zeitungskarikatur, in der die ersten „Oranians“ in einer trostlosen Wüstenlandschaft gezeigt wurden.

Ein Bewohner hat die Karikatur gerahmt in sein Büro gehängt, als triumphierendes Statement. Die Stadt wächst um zehn Prozent jährlich, wenn auch nicht so schnell wie geplant – die Infrastruktur ist auf 15.000 Menschen angelegt, fünfmal mehr als jetzt.

So rückwärtsgewandt die Weltsicht auch sein mag, so innovativ sind die Bewohner in anderen Fragen. Vor Gericht erstritten sie die Klassifizierung als Gemeinde, können lokale Steuern eintreiben. Die werden auch in den Bau von Solar-Anlagen investiert, man will sich so weit wie möglich vom maroden Stromkonzern Eskom unabhängig machen. Selbst eine eigene Währung wurde eingeführt, der „Ora“. So kurbele man den Handel innerhalb von Orania an, erklärt Strydom, mache ihn zudem sicherer.

Zuletzt empfing man Delegationen aus dem Ostkap, die ausgerechnet die Weißen in der Landfrage um Rat baten. Lukrative Landstriche ihrer Provinz gehören dem Staat. Die lokalen Chiefs dürfen es zwar verwalten, entwickeln können sie ihre Gegend so aber nicht. Selbst der berüchtigste linksradikale Politiker des Landes zeigte sich bei einem Besuch überrascht. Julius Malema ist bekannt dafür, das Lied „Tötet den Buren“ anzustimmen. Er habe erwartet, von bewaffneten Buren aufgehalten zu werden, sagte er – nachdem er freundlich empfangen worden war.

Strydom erzählt, dass es oft ein simpler Fakt sei, der Leuten wie Malema den Wind aus den Segeln nehme. „In Orania wird keine einzige Toilette von einem schwarzen Bürger geputzt“, sagt er. In dem Ort sehen sie die Ausbeutung billiger Arbeitskraft von Schwarzen als Kardinalfehler der Apartheid an – und schreiben nun vor, dass die Bewohner alle Arbeiten selbst erledigen. Der umstrittenste Ort ist wohl der einzige des Landes, an dem ausschließlich Weiße den Zapfhahn der Tankstelle bedienen und im Supermarkt die Waren einpacken. Auch für schwarze Kunden.

Doch  wer länger als vier Wochen bleiben will, der muss vor einem Bürgerausschuss das „Recht auf Anwohnerschaft“ erlangen. Abgefragt werden Afrikaans, Religiosität, konservatives Familienbild. Burenidentität halt. Mit Rassismus habe das nichts zu tun, behauptet Strydom, „wir machen hier keine DNA-Tests.“ Es gehe in Orania, so räumt er gleichwohl, um die gemeinsamen Ursprünge, die Erhaltung der Kultur. Und damit sind natürlich die Nachfahren der weißen Siedler gemeint. „Aber wer hier Rassisten sucht, den schicken wir sofort weiter“, sagt Strydom, „wir haben gute Beziehungen mit den anderen Volksgruppen Südafrikas.“

Es kann schon einmal dauern, bis man auf der Hauptstraße Menschen mit dunkler Hautfarbe trifft. Nach einer Stunde parkt ein Kurierfahrer. „Alles ist ok“, sagt er, „die Leute sind freundlich zu mir.“ Ähnlich äußert sich eine Arbeiterin einer Farm, die zum Einkauf nach Orania kommt.

Doch als Nachbarn bleiben sie unerwünscht. Das zählt für viele Südafrikaner am Ende, wenn sie Orania hören: ein Symbol aus der Gegenwart für die schmerzhafte Geschichte des Landes. Für den dunkelhäutigen Tankwart einer nahegelegenen Ortschaft etwa. „Wir haben bei uns Weiße, die in unserer Mitte leben, wir heißen sie willkommen“, sagt er aufgebracht, „Glaubst du, dass ich als Bewohner in Orania willkommen wäre? Natürlich nicht.“ Den Hinweis, dass dies auch auf den weißen Autoren zutreffe, der ja ebenfalls kein Bure sei, akzeptiert er nicht: „Ihr habt die gleiche Herkunft“, sagt er, „sie würden dich akzeptieren.“

Seine Abneigung liegt wohl auch an einem Eckhaus in einer Seitenstraße von Orania. Es gehörte einst der Witwe des ehemaligen Premierministers Hendrik Verwoerd, die hier ihre letzten Jahre verbrachte. Heute ist es ein Museum für Verwoerd, der in den 1950er und 1960er Jahren die Gesetze der Rassentrennung derart rigoros durchgesetzt hatte, dass er als „Architekt der Apartheid“ gilt.

Ein Museumsführer schließt die Tür auf. Büsten von Verwoerd sind in den Räumen zu sehen, dazu zahlreiche Ölgemälde und persönliche Gegenstände. Er sei kontrovers gewesen, räumt der Mann ein, „aber auch für viele bis heute ein Held“, einer der die Gegend entwickelt habe. Und für die Rassentrennung seien ja eher die Briten verantwortlich gewesen, verirrt sich der Geschichtsenthusiast in erstaunlichen Deutungen.

In dem Wohnzimmer des Hauses saß einst Nelson Mandela. Im Jahr 1995 besuchte er die Verwoerd-Witwe, man trank Tee, aß das Buren-Gebäck Koeksisters. Es war eine von Mandelas großen Gesten der Versöhnung gegenüber seinen Unterdrückern.

Ein Foto des historischen Treffens sucht man in dem Museum vergeblich.