Das Leid der Frauen in Kongos Bürgerkrieg

Die Mutter Solange gehört zu den unzähligen Opfern von Vergewaltigungen bei den aktuellen Kämpfen im Ost-Kongo – der Krieg wird für unzählige Frauen zum Martyrium. Wieder einmal
Als die Kämpfe Ende Januar Solanges Dorf fast erreicht haben, da überlegt die Mutter, ob sie sich verstecken soll. Doch dann würden ihre vier Kinder hungern. Also zieht Solange los, sammelt Feuerholz in einem Feld, um etwas Geld für Essen zu verdienen. Dann stößt sie auf die drei Männer in Uniform.
Nach der Vergewaltigung blutet die 35-Jährige, kann nicht aufstehen. Zwei Dorfbewohner finden sie im Gebüsch, bringen sie in die örtliche Klinik. Dort hat sie Glück. Eine Ambulanz fährt sie trotz der Kämpfe in die 30 Minuten Fahrt entfernte Millionenstadt Goma im Ostkongo, die gerade von den M23-Rebellen eingenommen wurde. Sie bekommt ein paar Pillen, die Ärzte haben angesichts der massenhaft eingelieferten Patienten keine Zeit zu erklären, wofür sie sind. Solange hofft, dass eine dabei ist, die eine Schwangerschaft verhindert.
Fast zwei Wochen sind seitdem vergangen. Die von Ruanda unterstützten M23-Rebellen haben Goma inzwischen vollständig unter Kontrolle, Kongos Armee hat sich entgegen anders lautender Darstellungen der Regierung vollständig aus der Stadt am Fuße des Nyiragongo-Vulkans zurückgezogen. In den Straßen wird nicht mehr geschossen, es fliegen keine Artilleriegeschütze mehr über und in die Häuser. Doch Solange’s Albtraum geht weiter. Wie das von Millionen im Ostkongo. Vor allem der Frauen. Wieder einmal.
Fast 3000 Menschen wurden bei den Kämpfen der letzten Wochen um Goma getötet, teilen die Vereinten Nationen mit. Die Zahl ist allerdings umstritten – M23-Anführer beziffern die Zahl auf 800, es handele sich überwiegend um Kämpfer auf beiden Seiten. Die Patientin Solange gehört zu den Hunderttausenden, die vertrieben wurden. Und zu den Unzähligen, die vergewaltigt wurden. Seit Jahrzehnten wird Gewalt gegen Frauen im chronisch instabilen Osten Kongos als Kriegswaffe eingesetzt. Die letzten Monate waren besonders erschreckend.
Entsprechende Vorwürfe gibt es gegen beide Kriegsparteien. Doch Anfang Februar bezichtigte das UN-Menschenrechtsbüro jedoch explizit Kongos Armee und deren verbündete Milizen der sexuellen Gewalt. „Wir überprüfen Berichte, dass 52 Frauen von kongolesischen Truppen in Süd-Kivu vergewaltigt wurden, einschließlich mutmaßlicher Berichte über Gruppenvergewaltigungen“, sagte ein Sprecher. Im Januar hatte das Büro sexualisierte Gewalt als einen „Hauptfaktor” des Konflikts bezeichnet. Bewaffnete Gruppen würden Frauen und Mädchen entführen, vergewaltigen und versklaven.
Solange steht am Samstag vor der Gynäkologie-Abteilung des Virunga Krankenhauses von Goma. Sie hat die letzten Tage in einem Notlager auf dem Krankenhausgelände geschlafen. Die Ärzte hatten sie für den Vormittag für eine weitere Untersuchung ihrer schweren Verletzungen einbestellt. Doch die Tür ist verschlossen, Männer mit Schussverletzungen humpeln vorbei, ihre Wunden sind notdürftig verbunden.
Die Mutter hat ihren abgemagerten Sohn, 2, mit einem Tuch auf den Rücken gebunden, hockt sich auf eine Wartebank des Krankenhauses. Sie wisse nicht, zu welcher Kriegspartei ihre Vergewaltiger gehörten, flüstert sie. Die drei Männer hätten Uniform getragen. Sie seien relativ klein gewesen, sagt sie und meint damit die Regierungsseite. Die M23-Miliz wird von den oft hoch gewachsenen Tutsi angeführt. Sie sei froh, dass sie überlebt habe, sagt sie. Ihre Kinder brauchen sie.
Fünf Minuten Fußweg entfernt hatten rund 100 Frauen keine Chance zu überleben. Als die M23-Rebellen am 27. Januar die Stadt einnahmen, breitete sich Chaos aus. Kongolesische Soldaten zogen bei ihrer Flucht ihre Uniformen aus und warfen sie an den Straßenrand, um als Zivilisten unterzutauchen. Rumänische Söldner, die von Kongos Regierung angeheuert worden waren, flohen auf das Gelände der UN-Friedenstruppen MONUSCO in Goma. Und im Zentralgefängnis der Stadt gab es bei einem Massenausbruch ein Großfeuer.
Vor den Ruinen fahren am Freitag Geländewagen des Roten Kreuzes vor. Männer in weißen Ganzkörperschutzanzügen steigen aus. Auch elf Tage nach dem Brand liegen noch 40 völlig verkohlte Leichen im Frauentrakt. Die Sanitäter steigen über die Trümmer, legen die Körperteile in Leichensäcke und reihen diese auf dem Vorhof auf. Stundenlang geht das so.
Mit versteinerter Miene schaut der Gefängniswärter Djuma Amisi zu. Er hat von der Darstellung der UN gehört. Das Feuer sei von einigen der 4000 männlichen Insassen gelegt worden, denen aus einem anderen Trakt die Flucht gelungen sei. Sie hätten die 165 weiblichen Gefangenen zuvor vergewaltigt. Lediglich zwischen neun und 13 weiblichen Insassen, „die alle ebenfalls vergewaltigt wurden“, hätten den Brand überlebt, sagte ein Sprecher und berief sich dabei auf eine Quelle in Kongos Justiz.
Diese wird von Kongos Regierung kontrolliert, der in Goma unterlegenen Kriegspartei. Entsprechend lohnt sich eine Nachfrage vor Ort. Laut Gefängniswärter Amisi hat sich der Vorgang anders zugetragen. Der strategisch wichtige Flughafen sei direkt hinter dem Gefängnis. Als die Kämpfe dort eskalierten, seien die 4000 männlichen Gefangenen über die Mauern geklettert und geflüchtet. Auch er und seine Kollegen seien davongerannt. „Die Frauen haben Matratzen angezündet, um uns oder die anderen Gefangenen dazu zu bewegen, das Tor zum Trakt aufzubrechen“, sagt Amisi. Das sei nicht geschehen. Die Zahl der inhaftierten Frauen habe 100 betragen, rund 90 seien verbrannt.
In Goma kursiert auch die Version, dass einige Frauen in dem Chaos Akten zu ihren Verbrechen verbrannten, das Feuer sei so ausgebrochen. An einigen Stellen einer Wand des Gebäudes sind Löcher zu sehen, offenbar verzweifelte Versuche, den Flammen zu entkommen. Verifizieren lässt sich das kaum.
Aber Amisi hat weniger als eine Stunde nach Beginn des Ausbruchs ein Handyvideo von dem Haus aufgenommen, wo er sich versteckt hielt. Es zeigt Hunderte Häftlinge, die weglaufen. Die Version, dass die Männer Massenvergewaltigungen begingen, während wenige Meter weiter schwere Artillerie-Gefechte zwischen Armee und M23 wüteten, bedürfte zumindest weiterer Belege.
Im Krankenhaus wartet Vergewaltigungsopfer Solange nunmehr seit Stunden. Sie will los, zu ihren anderen drei Kindern, die mit ihr in zwei winzigen Zelten im 15 Kilometer weiten Vertriebenenlager Masisi leben. Aber es fehlt ihr das Geld. Wir fahren sie.
Nach einigen Minuten erzählt sie, wie sehr sie ihren Mann vermisst, mit dem sie auf einem Acker Kartoffeln und Bohnen angebaut hat. Er sei vor sechs Monaten von M23-Rebellen getötet worden, sagt sie mit tränenerstickter Stimme – weil er sich geweigert habe, sich der Bewegung anzuschließen.
Sein Name war Innocence. Unschuld.