Christian Putsch

In Ruandas Bergwerken, die es nicht gibt

Christian Putsch
  In Ruandas Bergwerken, die es nicht gibt

Für die Energiewende wollte die EU im großen Stil Rohstoffe aus Ruanda kaufen. Nun fordert das EU-Parlament eine Kehrtwende. Wegen Ruandas Beteiligung am Ostkongo-Krieg. Und wegen des Vorwurfs, dass es sich um geschmuggelte Mineralien handelt. Doch in Kigali wehrt man sich – und präsentiert die eigenen Bergwerke. Über einen aufgedrängten Besuch

Am Anfang der Recherche, die überraschend 120 Meter unter die Erde führen wird, steht eine WhatsApp an Ruandas Regierungssprecherin. Im Zuge einer Recherche zum Krieg im Kongo wollen wir dem Land die Möglichkeit geben, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen. Davon gibt es einige: Die Unterstützung der M23-Rebellen im Kongo, verbunden mit der Umdeklarierung von aus dem Nachbarland eingeschmuggelten Rohstoffen als eigene Ware.

Zwei Tage lang gibt es keine Reaktion. Dann, bei einem Zwischenstopp in Ruandas Hauptstadt Kigali, kommt die Antwort doch noch. Man würde den Reporter gerne am nächsten Tag eines der örtlichen Bergwerke zeigen. Schnell ein Anruf: „Sehr nett, aber da sitze ich im Flieger.“ „Geht es in einer Stunde?“

Wir sollten uns doch bitte von der Produktion in Ruanda „einen Eindruck aus erster Hand“ machen, und nicht auf Kongos Präsident Felix Tshisekedi hören. Der behauptet, Ruanda habe „kein Gramm“ kritischer Rohstoffe, die für die Energiewende elementar sind. 

Eine Stunde nach dem Telefonat fährt tatsächlich ein ruandisches Regierungsauto am Hotel vor. Die offensive Pressearbeit ist nachvollziehbar, es stehen Milliarden auf dem Spiel. Präsident Paul Kagame will binnen zehn Jahren zum Schwellenland aufsteigen – ein ehrgeiziges Ziel für ein von Krisenherden umgebenes Entwicklungsland. Eine Säule sollten Exporte in die Europäische Union sein. Investitionen in Höhe von 940 Millionen Euro hatte der Völkerverbund zugesagt, das meiste im Rohstoffsektor.

Die Mineralien der Region sind der Hebel, mit dem der Kongo einen Krieg gewinnen will, in dem seine desolate Armee militärisch der Allianz aus M23 und 4000 ruandischen Soldaten hoffnungslos unterlegen ist. Ende Februar bot der als relativ westlich orientiert geltende Tshisekedi „den Vereinigten Staaten und Europa einen Anteil an dem riesigen Mineralienreichtum“ seines Landes an, der von kongolesischen Politikern regelmäßig auf 24 Billionen Dollar beziffert wird – eine seit weit mindestens 16 Jahren kursierende Zahl, für die es allerdings keine seriöse Quelle zu geben scheint.

Tshisekedi fügte seinem Angebot den verlockenden Hinweis hinzu, dass der Sektor ja „derzeit von China dominiert“ werde. Und vor einigen Tagen legte er im Interview mit Donald Trumps Haussender „Fox News“ nach: „Wir wären sehr froh, unsere amerikanischen Freunde hier zu haben“, umschmeichelte er. Die USA seien ja in den 1970er und 1980er Jahren „viel aktiver“ in seinem Land als China gewesen.

Doch aktuell kontrolliert Peking dort 70 Prozent das Abbaus Kobalt, der Kongo ist für die Produktion von Batterien in Elektrofahrzeugen eingesetzten Rohstoffs das mit Abstand wichtigste Land weltweit. In China hat man die Avancen in Richtung USA offenbar registriert und weicht von seiner strikten Linie der politischen Neutralität bei Konflikten in Afrika ab. 

Während es bei frühen Verlautbarungen zum Kongo-Krieg neutral den Einsatz „ausländischer Kräfte“ im Kongo kritisierte, wurde zuletzt Ruanda namentlich genannt. „China bekräftigt seine Hoffnung, dass Ruanda seine militärische Unterstützung für M23 einstellen und sofort alle seine Militärkräfte aus dem Territorium der DR Kongo abziehen wird", sagte der chinesische UN-Botschafter im Februar. Eine klare Verurteilung klingt anders – der Vorgang ist dennoch höchst ungewöhnlich.

Der Kongo verlangt für die geopolitische Umorientierung, ähnlich wie die Ukraine, umfangreiche Sicherheitsgarantien. Das Angebot für die USA: Mineralien und Kontrolle über einen Tiefwasserhafen als Exportzentrum. Der Preis: Die Ausbildung und Ausrüstung kongolesischer Streitkräfte zum „Schutz vor militanten Gruppen, die von ausländischen Mächten unterstützt werden“. Ein Gruß nach Ruanda.

Ein transaktionaler Deal ganz im Stil von Trump also. Das US-Außenministerium teilte vage mit, dass man offen für eine Partnerschaft mit dem Kongo im Bergbau sei. Auf militärische Aspekte ging es nicht ein. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die USA aktiv in die Kämpfe eingreifen. Realistischeres Ziel sind Waffenlieferungen, zumal die M23 bei ihrem Vormarsch Kongos chinesische Kampfdrohnen mühelos abschießt. 

Der republikanische US-Abgeordnete Ronny Jackson warnte nach einer Kongo-Reise US-Firmen zuletzt auch vor der enormen Korruption und unberechenbaren Justiz des Landes. Dem Kongo fehle zudem „die Ressourcen und Fähigkeiten“, den Osten des Kongos zu kontrollieren: „Das ist der wilde, wilde Osten.“ Jackson hat einen guten Draht zu Trump – er war sein Arzt während dessen erster Amtszeit.

Westliche Industrienationen, so jedenfalls der Tenor aus Kinshasa, sollen ihre Rohstoffe beim „rechtmäßigen Besitzer“ kaufen. Also nicht in Ruanda. Doch dort will man diese Darstellung nicht so einfach stehen lassen. Im Geländewagen sitzt Oreste Mukiza von der ruandischen Rohstoffbehörde RMB. Der hoch aufgeschossene Mann nutzt die Fahrt in ein Zinn-Bergwerk, um Ruanda als Rohstoffwiege darzustellen. Man habe schon vor Tausenden Jahren Eisenerz ausgegraben, ein Ort sei sogar danach benannt worden. 

Seit Jahrzehnten wachse der Sektor rasant. Über 100 Bergwerke gebe es im Ruanda inzwischen, besonders im Norden des Landes. „Egal, was man im Kongo findet, das findet man auch in Ruanda“, behauptet Mukiza, „nur nicht in der gleichen Menge.“ 

Hinter dicht besiedelten Straßen ist dann plötzlich das Eingangstor zum Zinn-Bergwerk „Bashyamba“. In den 1930er Jahren ließ Belgien hier die ersten Schächte ausheben. Ein Ort mit aktueller Symbolkraft also. Ruanda wirft der ehemaligen Kolonialmacht in diesen Tagen „neokoloniale Wahnvorstellungen“ vor. Das Land habe EU-Sanktionen gegen angeblich mit der M23 kooperierende Kommandeure der ruandischen Armee sowie eine Gold-Raffinerie „mit Lügen und Manipulationen“ durchgedrückt. 

Inzwischen wird die Mine von einer ruandischen Firma betrieben. In einem Konferenzraum verweisen die Mitarbeiter per PowerPoint-Präsentation darauf, dass sie Bäume gegen die Erosion angepflanzt hätten, das Wasser wiederverwerten, Schulen und Kliniken für die Anwohner bauen. Stiefel und Helme stehen für Besucher in verschiedenen Größen bereit, der Müll im Raum wird getrennt. Eine Visitenkarte für vermeintlich einwandfreien Bergbau, der dem europäischen Lieferkettengesetz standhält. Wären da nicht diese lästigen Anschuldigungen.

Auf dem Fußweg zum Eingang des Bergwerks kommen im Abendlicht Hunderte Bergarbeiter entgegen. 1700 sind hier beschäftigt, 220 davon Frauen. Der Vorwurf des Schmuggels aus dem Kongo sei falsch, sagt PR-Mann Mukiza: „In Ruanda wird verantwortungsvoller Bergbau betrieben.“ 

Seit Jahrzehnten steht die Frage im Raum, wie systematisch Ruanda die Ausbeutung kongolesischer Konfliktrohstoffe über die poröse Grenze betreibt. Immer wieder wird auf einen im Dezember veröffentlichten UN-Expertenbericht verwiesen. Dort sind Beispiele aus dem Jahr 2013 aufgeführt, als aus dem Kongo stammendes Coltan in Ruanda aufflog – gleichzeitig wird betont, dass Kigali bei den Ermittlungen gegen die beteiligten Firmen kooperierte. 

Zu jüngeren Vorfällen werden neben anonymen Augenzeugenberichten zwei verdächtige Satellitenbilder aus dem Jahr 2024 aufgeführt: der Ausbau einer Straße im Kongo etwa. Lastwagen könnten so die illegalen Rohstoffe besser abtransportieren. In einem anderen Fall wird auf das Beladen von Lastwagen auf einem Markt hingewiesen, Zeugen hätten berichtet, es habe sich um geschmuggelte Rohstoffe gehandelt. Verdächtig ist das alles, gerichtsfest eher nicht.

Entsprechend wählt auch Philip Schütte, Wirtschaftsgeologe an der deutschen „Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe” (BGR), seine Worte vorsichtig. Bei den ruandischen Exporten von Zinn-, Tantal- und Wolframkonzentraten sowie Gold handele es sich um eine Kombination aus eigener Produktion sowie Schmuggelmaterial.“ Aber die Anteile sind nicht belastbar abschätzbar.” 

Das wird wohl so bleiben: Westliche Länder hatten in den vergangenen Jahren verstärkt Untersuchungen in verdächtigen Bergbaugegenden im Ostkongo eingeleitet. Mit der Eskalation des Konflikts kamen sie aber zum Stillstand.

Im Bashyamba-Bergwerk von Kigali präsentieren die Ingenieure 120 Meter unter der Erde so ziemlich jeden Gang, Unter tropfenden Decken bohren Männer mit schwerem Gerät. Wieder an der Oberfläche besteht Mukiza völlig durchnässt noch auf dem Besuch der Lagerräume. „Das wäre wirklich gut“, sagt er, als würden die dort liegenden Zinn-Säcke endgültig die kongolesischen Vorwürfe entkräften.

Bei der Rückfahrt sagt der Regierungsmitarbeiter munter, beim nächsten Mal müsse man aber unbedingt quer durchs ganze Land Bergwerke besuchen. Der Kongo vermeldet derweil, man sei wegen des Rohstoffabkommens und der erhofften militärischen Unterstützung „täglich“ mit den USA in Kontakt. 

Die Propagandaschlacht um die Seltenen Erden der Region hat gerade erst begonnen.