Claudettes Kampf mit Mpox, Stigma – und den Behörden

Wissenschaftler sehen Pendler als Risikogruppe für die Verbreitung des Mpox-Virus aus dem Kongo in Nachbarländer. Zu ihnen gehört Erdnuss-Verkäuferin Claudette aus Ruanda, die sich im Kongo infizierte. Ihr Fall zeigt, wie überfordert die Behörden mit der Epidemie sind
Mitte August bemerkte die ruandische Erdnussverkäuferin Claudette (Name geändert) kleine Ausschläge an ihren Armen, an den Beinen, am Rücken. Ein Nachbar riet ihr, sich mit Maniokblättern zu waschen. Ohne Erfolg. In einer örtlichen Klinik bekam sie Medikamente, in einem Krankenhaus schließlich Injektionen.
Nach einigen Tagen fühlte sich die junge Frau besser, der Ausschlag begann abzutrocknen. Claudette kaufte wie gewohnt Erdnüsse auf dem lokalen Markt, röstete sie und machte sich auf den Weg über die Grenze in den Kongo. Ihre Kunden dort sind Kinder auf dem Weg zur Schule, Arbeiter, Motorradtaxifahrer. Doch anders als während der ersten Tage, als sie trotz ihres Hautausschlages passieren durfte, wurde sie nun an der Grenze festgehalten und von den ruandischen Grenzbeamten in das Gihundwe-Krankenhaus gebracht. Auf eine Isolationsstation. Diagnose: Mpox.
Die Diagnose hat ihr Leben auf den Kopf gestellt – sowie das von Tausenden in der Region. 13 afrikanische Länder haben in diesem Jahr mehr als 22.800 wahrscheinliche und bestätigte Mpox-Fälle und 622 Todesfälle gemeldet, teilten die “Afrikanischen Zentren für Seuchenkontrolle und -prävention” (Africa CDC) am Dienstag mit. Zuletzt stiegen die Zahlen um 20 Prozent pro Woche, die große Mehrheit der Infizierten befinden sich im politisch instabilen Ost-Kongo. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Mitte August zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren wegen Mpox eine “gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite” ausgerufen, ihre höchste Alarmstufe.
Während sich der Kontinent verzweifelt um Finanzierung für die Behandlung und Diagnose der Infizierten bemüht, geht es für Claudette schlicht um das Überleben ihrer Familie. Sie ist einer von nur vier bestätigten Fällen in Ruanda. Umso erschreckender erscheint, was sie über ihre Behandlung berichtet. Im Krankenhaus habe sie weiße und rote Tabletten bekommen, aber kaum etwas zu essen, sagt sie. Sie solle ihre Familie bitten, ihr Nahrungsmittel zu bringen, habe es geheißen. Doch die alleinerziehende Mutter hatte schon Mühe, Essen für ihre vier Kindern zu Hause arrangieren. Auch darum hätten sich die Behörden zunächst nicht gekümmert.
Nach einer Nacht hatte sie deshalb trotz starker Schmerzen und Juckreiz das Krankenhaus gegen den Willen des dortigen Personals verlassen. Wenige Stunden später aber wurde sie von einem Team des Gesundheitsministeriums wieder zurück auf die Isolationsstation gebracht. Wieder habe es an Verpflegung gemangelt, ein Arzt im Nachtdienst habe schließlich seine Frau gebeten, etwas für die Patienten zu kochen. Um ihre Kinder kümmere man sich, wurde ihr versichert – aber es fiel der Mutter schwer, diese Worte zu glauben.
Claudette ist sich nicht sicher, ob ihre schlechte Behandlung auf mangelnder Vorbereitung des Gesundheitswesens beruht. Oder einem allgemeinen Stigma, das Verkäuferinnen in Kamanyola anhaftet. So mancher Bürger dort wirft ihnen vor, auch sexuelle Dienstleistungen anzubieten, mal gegen Geld, mal schlicht für die Bezahlung eines Taxis. Durch den Ort fahren täglich Hunderte Lastwagen. Es gibt tatsächlich auch ruandische Frauen, die dort Zimmer mieten und als Sexarbeiterinnen arbeiten. In den Reports der afrikanischen Gesundheitsbehörden werden sie als eine der Risikogruppen identifiziert. In Kamanyola wurden neue Plakate aufgestellt, die explizit vor dem Gewerbe warnen.
Klar scheint jedenfalls, dass die Region mit der Bedrohung überfordert ist. Das “Africa CDC” hat die unmittelbaren Kosten für die Bekämpfung des Virus auf dem Kontinent mit 245 Millionen Dollar angegeben, davon seien aber weniger als zehn Prozent gesichert. Immerhin gab es in den vergangenen Tagen Zusagen für die Lieferung von Mpox-Impfstoff in den Kongo. Spanien will 500.000 Dosen spenden, das ist ein Fünftel der Vorräte des Landes. Frankreich und Deutschland haben jeweils 100.000 Impfdosen zugesagt. Benötigt werden jedoch zehn Millionen.
Und die Ratingagentur Fitch warnte am Mittwoch, dass eine schnelle Ausbreitung des Mpox-Virus in Afrika die Finanznot vieler Länder der Region verschärfen könnte. Die Auslandsschulden des Kontinents erreichten Ende letzten Jahres mehr als 1,1 Billionen Dollar. Mehr als die Hälfte der afrikanischen Länder haben ein bedrohliches Schuldenniveau, teilt die Afrikanische Entwicklungsbank” mit. Und rund 900 Millionen Menschen, rund Zweidrittel aller Afrikaner, leben in Ländern, die mehr für Zinszahlungen ausgeben als für Gesundheitsversorgung oder Bildung. In Nigeria wird ein Drittel des Regierungsbudgets für die Rückzahlung von Schulden verwendet.
Am vergangenen Freitag wurde Claudette aus dem Krankenhaus entlassen. Sie war negativ getestet worden, Tote gab es in Ruanda durch die Epidemie bislang nicht. Geschwächt ging sie nach Hause – und am nächsten Tag wieder über die Grenze. Geröstete Erdnüsse verkaufen. Claudette sagt: “Ich kann es mir nicht leisten, mich auszuruhen.”