Christian Putsch

Wie 95 libysche Söldner in Südafrika landeten

Christian Putsch
Wie 95 libysche Söldner in Südafrika landeten

Monatelang wurden 95 Haftar-nahe Libyer in einem illegalen Militärcamp in Südafrika in moderner Kriegsführung ausgebildet. Analysten sehen das als Indiz für drohende Instabilität in Libyen – und für das Versagen des südafrikanischen Geheimdienstes. Besuch bei einer Gemeinde in Aufruhr

Die wütenden Rufe der 95 libyschen Männer sind bis auf die Straße vor dem Magistratsgericht der südafrikanischen Kleinstadt White River zu hören. “Libyen! Libyen!” skandieren sie. Ihre Wut richtet sich gegen die Anordnung des Richters, der weitere Untersuchungshaft für die des Söldnertums verdächtigten Männer mindestens bis zum 26. August in Haft angeordnet hat, eine Abschiebung sei untersagt. Es bedürfe weiterer Ermittlungen.

Die Anwesenheit der Männer in unmittelbarer Nachbarschaft des Krüger-Nationalparks ist längst zum internationalen Politikum geworden. Monatelang waren die Männer in einem privaten Militärausbildungslager auf einer Farm in Kriegstaktiken ausgebildet worden. In Grabenkämpfen etwa, wie sie im Jahr 2019 beim Angriff von General Chalifa Haftar auf Tripolis angewendet wurden. Ende August folgte dann die Verhaftung nach einer Razzia.

In Libyen und Südafrika steht seitdem die Frage im Raum, ob Haftar die Männer zur Ausbildung geschickt hat. Er dominiert bekanntlich den Osten des Landes.

Analysten sahen zuletzt Anhaltspunkte für Spannungen zwischen Haftar und der international anerkannten Regierung, die den Westen kontrolliert. Milizen rüsten auf, die Preise für Waffen auf den Schwarzmärkten steigen. Es erinnert an die Monate vor dem Sturm auf Tripolis.

Vor diesem Hintergrund sind die festgehaltenen Libyer interessant, sagt Julian Rademeyer von der Denkfabrik “Global Initiative Against Transnational Organised Crime”. “Beide Konfliktseiten erhöhen ihre Kapazitäten”, so der Analyst am Telefonat. Auf politischer Ebene seien beide Seiten in einer Sackgasse angekommen. Rademeyers Quellen in Libyen berichten von Mobilisierungen von Kämpfern und zunehmenden Ausbildungsmaßnahmen auf Haftars Gebiet, wofür auch Ex-Soldaten aus Irland verpflichtet worden seien. “In Libyen ist es normal, auf Kämpfe vorbereitet zu sein“, sagt Rademeyer, „aber das hier ist mehr als Normalität.”

Vor dem Gericht in White River will Anwalt Ashwin Kassen davon nichts hören. Er sei vom Arbeitgeber der libyschen Inhaftierten mit der Verteidigung vor Gericht beauftragt worden, gibt er zu Protokoll – um wen es sich dabei handele, will der Jurist freilich nicht preisgeben. “Meine Mandanten sind unschuldig, sie sollten als normale Sicherheitsleute ausgebildet werden”, sagt Kassen. Für die Vorwürfe gebe es “null Belege”.

Doch daran zweifeln beide Länder. Das libysche Außenministerium distanziert sich von den Verhafteten, man sei “tief besorgt angesichts des Vorfalls”. In Südafrika hat die Angelegenheit ebenfalls hohe Regierungspriorität, denn die Reputation ist belastet. Die “Financial Action Task Force”, ein internationales Gremium zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, setzte Südafrika auf seine “graue Liste”. Illegale Geldströme würden nicht ausreichend bekämpft.

Und vor einem Jahr setzte das US-Handelsministerium die südafrikanische Flugschule “TFASA” auf seine Exportkontrollliste, was bedeutet, dass jedes US-Unternehmen, das sie beliefern möchte, die Genehmigung der US-Regierung erhalten muss. Die Firma wird von Washington verdächtigt, chinesische Militärpiloten auszubilden. Auch die engen Beziehungen von Südafrika und Russland werden mit Argwohn verfolgt.

Selbst innerhalb von Afrika sind südafrikanisch-libysche Angelenheiten kontrovers. Libyens Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi zählte lange zu den Finanzierern der Regierungspartei “African National Congress” (ANC). Dann aber stimmte Südafrika als nicht-ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates im Jahr 2011 überraschend für die Resolution, die letztlich die Militärintervention und den Sturz Gaddafis möglich machte.

Südafrika warf der NATO später vor, die Resolution für ihren desaströsen Einsatz in Libyen missbraucht zu haben. Doch die diplomatischen Folgen für Pretoria waren enorm. Damals forderte Südafrika vehement einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat, wofür Südafrika fortan an auch auf dem Kontinent Unterstützung verlor. Bis heute gibt es zudem Gerüchte um den Verbleib hoher Vermögenswerte von Gaddafi in Südafrika.

Die aktuellen Schlagzeigen helfen da wenig. Die Männer sind offenbar im April aus Bengasi aufgebrochen, also aus Haftars Gebiet. Sie reisten nach Tunesien, wo sie an der südafrikanischen Botschaft Visa besorgten. Mit falschen Angaben, sagt die Sprecherin der südafrikanischen Staatsanwaltschaft, Monica Nyuswa: “Sie behaupteten, zum Studium zu kommen – stattdessen trainierten sie, um Soldaten zu werden.”

Der Vorwurf der Falschangabe beim Visumsantrag ist bisher der einzige Anklagepunkt. Es werde geprüft, ob weitere hinzukommen, sagt Nyuswa. Auch im Fall der Betreiber des Camps “Milites Dei Security Services” (MDSS), wo die Libyer seit April trainiert wurden. Am Mittwoch teilte die südafrikanische Regulierungsbehörde für Sicherheitsunternehmen, kurz PSIRA, mit, das Training sei „illegal“ gewesen. „Die Art der Ausbildung umfasste umfangreiche körperliche Aktivitäten mit militärischen Strukturen und Hilfsmitteln.” Die Ausbilder seien zudem nicht akkreditiert gewesen.

Vielleicht kommen zudem noch weitere Strafstandbestände für die libyschen Männer dazu. Das glauben zumindest die Männer, die den Samstagnachmittag vor dem “Gaba Bottle Store” im Dorf Mshadza verbringen – einer Kneipe in der Nähe des Lagers. Sie erzählen, wie die Libyer hier oft herkamen, tranken. Wie sie damit prahlten, dass sie insgesamt 300 seien. Aus Regierungskreisen ist zu hören, dass es weitere Visumsanträge gegeben habe, der Rest aber nicht angekommen sei.

“Die Menschen haben Angst”, sagt Artwell Dube, einer der Dorfvorsteher, “mir haben die Leute erzählt, dass die Libyer Handys geklaut haben. Aber dass sie sich nicht getraut haben, zur Polizei zu gehen.” Es handele sich schließlich um Soldaten.

Die Polizei behauptet, dass keine Anzeigen erstattet wurden. Einige der Kneipengänger sehen das als Versuch der Vertuschung und die Beteiligung mächtiger Hintermänner. Ein Mann berichtet, dass er Streit fünf Libyern gehabt habe. Sie hätten seine Autoscheibe eingetreten, er habe sich mit einem Stock gewehrt. Einer der Männer habe sich das Bein gebrochen, er sei am Unterarm verletzt worden.

“Ich bin zur Polizei gegangen”, sagt er, “aber dort haben sie sich geweigert, meine Anzeige aufzunehmen.”