Kleine Stiche gegen Afrikas strengste Patriarchen

Kein afrikanisches Land wird so eisern von Männern kontrolliert wie Somalia. Doch gegen diese Herrschaft emanzipieren sich mutige Frauen zunehmend. Seien es Journalistinnen oder Teilnehmerinnen von Schönheitswettbewerben – Somalias Frauen sagen den Männern den Kampf an
Die Explosion erfolgte nur einen Kilometer von dem Schönheitswettbewerb entfernt, an einem Sonntagabend in einem Restaurant. Mindestens fünf Menschen starben bei dem Anschlag Mitte Juli. Verdächtigt werden, wie meist in derartigen Fällen in Somalia, die Islamisten von Al-Shabaab, die das ostafrikanische Land nunmehr seit Jahrzehnten terrorisieren.
Während die Krankenwagen an dem Hotel in der Hauptstadt Mogadischu vorbeifuhren, in dem der Schönheitswettbewerb stattfand, und sich die schreckliche Nachricht unter den Teilnehmerinnen rumsprach, musste die Organisatorin Hani Abdi Gas eine Entscheidung treffen. Weitermachen? Oder Abbruch? Gas machte weiter.
“Anschläge passieren normalerweise tagsüber, wenn mehr Leute auf den Straßen sind”, sagt Gas, 29, am Telefon, “diesmal passierte es am Abend. Für mich ist klar, dass sie mit dem Anschlag auch eine Botschaft an mich schicken wollten.” Eine, von der sie sich nicht einschüchtern lässt.
Vor vier Jahren gründete Gas die Veranstaltung. Als ehemalige Gewinnerin eines Beauty Contests der somalischen Diaspora in Kenia will sie jungen Frauen die Möglichkeit geben, ebenfalls an internationalen Misswahlen teilzunehmen. Und die vielfältige Kultur des Heimatlandes so über die Grenzen hinaus zu vertreten. Dafür bedarf es des Wettbewerbs, der potenziellen Sponsoren zu kontrovers ist und deshalb von Anrufgebühren bei der Abstimmung finanziert wird.
Der Wettbewerb stößt jedoch nicht nur bei Al-Shabaab auf Widerstand, sondern auch bei den konservativen Männern des Landes. Die Kandidatinnen treten durchaus gemäß verbreiteter islamischen Gepflogenheiten auf die Bühne, indem sie beispielsweise ihre Haare verdecken, sagt Gas. Doch die hochgeschlossenen Kleider sind so manchem Patriarchen zu eng, zudem bedecken viele Frauen ihren Nacken nicht. Gas hat gelernt, solche Kommentare zu ignorieren. Wie immer mehr Frauen in Somalia.
Die UN zählen Somalia weiter zu den fünf Ländern weltweit mit der größten Ungleichbehandlung für Frauen. Weniger als fünf Prozent haben Bildung im Sekundarschulbereich, nicht einmal jede vierte Frau hat einen Arbeitsplatz. Zuletzt häuften sich die Meldungen, die zeigen, dass in dem Land – lange ein Synonym für einen gescheiterten Staat – etwas in Bewegung ist. Frauen setzten im Zuge einer neuen Verfassung durch, dass ein Drittel der Abgeordnetensitze im Parlament Frauen vorbehalten sein muss.
Sie drängen auf mehr Partizipation. Das zeigt sich in vielen Bereichen, etwa auf den Baustellen im von türkischen und arabischen Investoren entdeckten Mogadischu, wo Ingenieurinnen anzutreffen sind. Auch beim Kampf um mehr Frauenrechte in der Gesellschaft ist ein neuer Nachdruck zu spüren. Anfang des Jahres protestierten Hunderte nach dem brutalen Mord an drei Frauen, die binnen einer Woche von ihren Ehemännern getötet wurden. Die Aktivistin, Maryam Taqal Huseina, sagte damals der britischen Zeitung “The Guardian”, dass die Proteste weitergehen würden, bis es Gerechtigkeit gebe." Es wird erwartet, dass Frauen in Somalia schweigen". Man werde aber weiterhin Lärm machen, bis es Veränderungen gebe.
Denn zu oft enden solche Verbrechen ohne Strafen für die Täter – oder gar mit der Bestrafung des Opfers. Vor einigen Jahren wurde eine Frau in Mogadischu zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, nachdem sie ausgesagte hatte, von Angehörigen der Sicherheitskräfte vergewaltigt worden zu sein.
Nicht nur das Tabu um die Femizide wankt in Somalia. Auf Youtube argumentieren Aktivistinnen immer offener gegen die gängige Praxis der Genitalverstümmelungen, skandalös hohe Müttersterblichkeitsraten oder die Tatsache, dass noch immer jede dritte Frau vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet wird.
Die Tatsache, dass ihre Stimmen immer lauter wahrgenommen werden, liegt auch an dem aus sechs Journalistinnen bestehenden Medienunternehmen Bilan. Die vor zwei Jahren gegründete Redaktion, die aktuell überwiegend mit EU-Mitteln finanziert wird, ist die erste im Land, die ausschließlich aus Frauen besteht. Auch sie durchbrechen eine von Männern dominierte Domäne. Den Journalismus.
Anruf bei Hinda Abdi Mohamoud, der Chefredakteurin. Die 28-Jährige wuchs in der semi-autonomen Region Somaliland auf, die ungleich sicherer ist als Somalia, veröffentlichte schon mit 20 ihr erstes Buch über die Geschichte ihres Volkes, studierte Journalismus. „Meine Eltern haben mich immer unterstützt, aber einige Onkel gefiel das alles nicht“, sagt Mohamoud, „sie waren der Meinung, dass Frauen nicht in der Öffentlichkeit stehen sollten.“ Sie ignorierte das, zumal sie dafür keine religiöse Grundlage sah. „Diese Barrieren werden von nichts anderem als unserer Kultur errichtet“, sagt sie.
Schranken, die endlich fallen müssen, befand sie bei ihrem Umzug nach Mogadischu vor drei Jahren. Dort gab es kaum Journalistinnen, schon gar nicht „an den Tischen, an denen Entscheidungen fallen“, konstatiert Mohamoud. Es werde von den Medien viel über Politik und Terrorismus berichtet, aber zu wenig über die humanitären Folgen für die Menschen. „Wir versuchen hinter die Nachrichtengeschichte zu schauen“, sagt die Journalistin. Mit Blick auf die Situation von Frauen. Aber nicht nur.
In Somalia haben sich die Bilan-Berichterstatterinnen schnell einen zähen Ruf verdient. Gefährlich ist es dort für jeden, erst Anfang August wurden bei einem Anschlag an einem Strand von Mogadischu mindestens 32 Menschen getötet – Mohamoud war nur einen Tag zuvor an der gleichen Stelle gewesen.
Doch die Journalistinnen scheuen auch weitere Risiken nicht. Aktuell planen die Journalistinnen in ein Gebiet, das die Armee gerade aus der Al-Shabaab-Herrschaft befreit hat – trotz massiver Sicherheitsbedenken. Die Frauen wissen um das Risiko ihres Berufs. Seit dem Jahr 2010 wurden 50 Journalisten in Somalia getötet, mehr als in jedem anderen afrikanischen Land. Und auch Mohamoud berichtet von Drohungen in Richtung Bilan. Eine freiberufliche Kollegin aus dem Süden Somalias bekam einen Anruf eines Kämpfers von al-Shabaab, die Terroristen kontrollieren Teile der Region. Man werde sie töten, wenn sie nicht aufhöre, drohte er. Bald darauf zündeten die Terroristen eine Bombe in einem Restaurant, wo ihre Mutter arbeitete. Wie durch ein Wunder gab es keine Toten.
Die Kollegin hat sich nicht einschüchtern lassen, arbeitet inzwischen ebenfalls für die Bilan-Redaktion. Mohamoud ist stolz auf ihre Mitarbeiterin. „Sie arbeitet weiter – und sie ist absolut brillant.“ Ihre Worte klingen wie die triumphale Vermeldung eines Sieges. Und, zumindest im Kleinen, ist es das auch..