Christian Putsch

Der Geschmack der Hoffnung

Christian Putsch
Der Geschmack der Hoffnung

Inmitten des Flüchtlingslagers Adré im Tschad trotzt Adil den Widrigkeiten des Kriegs. Dort ist aus der angehenden sudanesische Studentin eine mittellose “Tea Lady” im Exil geworden. Die Teeverkäuferinnen begleiten ganz am unteren Ende der Gesellschaftleiter das Auf und Ab des Sudans seit Jahrzehnten. Und halten mit ihren einzigartigen Tee-Mischungen die Erinnerung an verlorene Heimat lebendig

Der Krieg hat Adil, 17, vieles genommen. Drei getötete Onkel, deren vier Kinder. Schulfreundinnen wurden vergewaltigt, starben. Dann die Universität, an der sie gerade angenommen war, als im April 2023 die Kämpfe begannen – zerstört. Und mit ihr der Traum, eines Tages Journalistin zu werden.

Was nun, im trostlosen Exil, von der zerstörten Heimat bleibt, ist ihr Geschmack. Nichts hat Adil so sehr mit dem Sudan assoziiert wie der berühmte Tee des Landes. Symbol der legendären Gastfreundschaft des Sudans, ein Kittstoff der Gesellschaft, der so ziemlich alle Momente begleitete, besonder aber die schönen. Adils Mutter verkaufte zu Friedenszeiten Brautkleider. Beim Anprobieren wurde Tee getrunken. Natürlich.

Adil, eine zierliche Frau in orange-schwarzen Gewand, sitzt in einem Holzverschlag des Flüchtlingslagers Adré in Sudans Nachbarland Tschad – und kocht Tee. Im vergangenen Jahr flüchtete sie zusammen mit Hunderttausenden über die Grenze hierher. Die Kämpfe zwischen Sudans Armee und der Miliz “Rapid Support Forces” (RSF) hatten ihre Heimatstadt El-Geneina erreicht, wo sie eine ethnische Dimension annahmen. Adil, die zur schwarzafrikanischen Ethnie der Massalit gehört, war ins Visier der verfeindeten arabisch-geprägten RSF-Kämpfer geraten, rettete sich knapp.

Nun kämpft sie weiter ums Überleben. Die Notrationen sind mangels internationaler Finanzierung knapp, pro Flüchtling bleiben ganze 1100 Kalorien am Tag. Also versucht Adil, etwas Geld dazuzuverdienen. Die angehende Journalistin, aus einer Familie der Mittelschicht, ist eine “Tea Lady” geworden. Eine der unzähligen Teeverkäuferinnen aus dem Sudan, allein der Hauptstadt Khartum waren es vor dem Krieg 23.000. Wer das Getränk auf den Straßen der Städte verkaufte, brachte die Menschen zusammen, rangierte schon immer am unteren Ende der Gesellschaft.

Doch in solchen hierarchischen Maßstäben denkt die eloquente Verkäuferin nicht. Das sind Gedanken für den Frieden, sagt sie. Lokale Anwohner haben ihr die Hütte vermietet, sie verlangen 5000 CFA-Franc am Tag, umgerechnet sieben Euro. Viel zu viel, ein Tee kostet hier nur ein paar Cent. Aber Adil hat dennoch zugestimmt. Denn ein paar Euro Gewinn bleiben ihnen ab und an, gerade genug, um nicht allzu hungrig ins Bett zu gehen, ihre Mutter mitzuversorgen. Einer der wenigen Kunden lobt: “Sie macht den besten Tee der Gegend.”

Jenes Getränk also, das Sudans bewegte Geschichte schon immer begleitete. In den 80er und 90er Jahren erlebte der Sudan eine schwere Wirtschaftskrise. Für Zehntausende von Frauen aus den wirtschaftlich oft marginalisierten schwarzafrikanischen Ethnien des Landes war der Verkauf von Tee und einfachen Mahlzeiten in den Straßen fortan der einzig mögliche Lebensunterhalt.

Schon damals servierten sie ihren Tee unter Todesgefahr an Demonstranten gegen das islamitische Regime, ähnlich war es auch bei den Protesten im Jahr 2019, die Dikator Omar al-Bashir zu Fall brachten. Eine der älteren Teefrauen, Awadiya Koko, gründete einst eine eigene Berufsvereinigung, weil sich keine der Gewerkschaften um die Belange der Gruppe kümmern wollte. Mit enormen gesellschaftlichen Folgen: Von ihrer informellen Initiative ermutigt wurden zahlreiche feministische Organisationen gegründet, die sich gegen die Unterdrückung der Frauen einsetzen.

In der Teehütte im Tschad sitzt Adil auf einem Plastikstuhl und mischt ihre eigene Rezeptur. Jede Tea-Lady kombiniert Gewürze anders. Sie lächelt, erstmals seit Beginn des Interviews. “Ich versuche, den Tee so perfekt wie möglich zuzubereiten.”

Und das geht so: Im Sudan war schwarzer Tee die Basis, bis er eine tiefrote Farbe erhält. Im Flüchtlingslager kommt sie meistens nur an grünen Tee, aber das funktioniert auch. Dazu kommt Nana, eine marokkanische Minze. Und Sha'ih, leicht bitter-erdig schmeckendes Salbei, warm-würziges Habahan. Am Schluss seltenere Gewürze, Gronghol und Sutornei. Fünf Minuten lang lässt sie den Tee aufbrühen, länger als viele andere Tea-Ladies. Sie mag ihn stark aufgebrüht, lässt ihn lange auf der brennenden Holzkohle ziehen. Am Ende kommt der Zucker, nie weniger als zwei Löffel im winzigen Glas, einige wollen fünf.

Es sind bittersüße Erinnerungen an ihre nahe Heimat, die gerade so weit entfernt scheint. Die Grenze zum Sudan ist nur einen Kilometer vom Tee-Stand entfernt, bis zu ihrer Stadt El-Geneina sind es nur 25 Kilometer, aus der fast alle Massalit geflohen sind. Jede Familie dort hat ihre eigene Rezeptur, wie eine Visitenkarte. Es wäre ein Affront, Besuchern keinen Tee und mit ihm reichlich Zeit anzubieten. Bei ihren Eltern wurde dazu Sorghum serviert, die berühmte afrikanische Hirse mit ihrer leicht nussigen Note, dazu Melone und andere Früchte. Arabische Sudanesen waren auch in friedlichen Zeiten nie zu Gast. “Wir waren völlig voneinander getrennt, auch vor dem Krieg”, sagt Adil, die seit ihrem dritten Lebensjahr täglich Tee trinkt.

Wochenlang hat sie in Adré nach der perfekten Mischung gesucht. Im Tschad fehlt es an vielen, auch auf den Märkten, besonders während der Regenzeit der vergangenen Monate. Die Transporte aus dem Westen des Landes sind wochenlang unterwegs, oft kommen sie nur im Schritttempo voran. Die Versorgungslage ist so schwierig, dass die Vereinten Nationen zögern, Bargeldzahlungen an Flüchtlinge zu geben – weil die Märkte dann auch für die lokale Bevölkerung des Tschads in der Gegend leergefegt wären und die Preise ansteigen würden. Das könnte das Konfliktpotenzial zwischen Flüchtlingen und ihren oft selbst weitgehend mittellosen Gastgebern erhöhen.

Doch die Zutaten für Tee finden ihren Weg irgendwie auch hierher. Behende hantiert die Tea-Lady zwischen den Plastik-Bechern. Es umgibt sie eine ruhige Ernsthaftigkeit, tief ist sie in ihr Handwerk versunken. “Wenn ich Tee koche”, sagt sie, “dann denke ich nicht an den Krieg.”