„Generation Z” in Kenia: Alles andere als Schneeflocken

Nirgends hatten Proteste der „Gen Z” zuletzt so große Erfolge wie in Kenia. Wegen ihnen wurden Gesetze zurückgenommen und fast das gesamte Kabinett entlassen. Ihre Wut in afrikanischen Ländern ist existenzieller als die von Altersgenossen im Globalen Norden
– Das Markenzeichen von Kenias inoffiziellem Anführer der „Generation Z” sind seine Anzüge. Kasmuel McOure trägt sie mal mit Krawatte, mal mit Schleife, stets schick. Als er bei den anhaltenden Protesten gegen die kenianische Regierung kurzzeitig verhaftet wurde, trug er natürlich einen. Und nach seiner Freilassung zog er sich zu Hause erst einen frischen Dreiteiler an, bevor er wieder auf die Straße ging und seine Hunderttausenden Follower über die sozialen Netzwerke zu weiteren Demonstrationen aufrief.
McOure wuchs einst verarmt in einer Blechhütte auf – und schwor sich damals, seine T-Shirts gegen feine Kleidung auszutauschen, sobald er es denn kann. „Anzüge”, sagte er einmal in einem Interview, „waren für mich wie eine Verkörperung von dem, was ich sein wollte.” Eine Form von Selbstbehauptung und Identität. Er entwirft sie selbst.
Der IT-Unternehmer ist ohne Frage das wichtigste Sprachrohr von Kenias Jugendbewegung, die längst ähnliche Proteste in Ländern wie Uganda, Nigeria, Malawi und Angola inspiriert hat. Fast täglich gehen Videos von ihm viral. Etwa das einer TV-Debatte mit einer Parlamentarierin, die ihre erwachsenen Kinder als „viel besser” als McOure bezeichnete. Der Angegriffene erwiderte spitzzüngig, dass ihr Nachwuchs aus ihrer Beziehung mit einem nachgewiesen korrupten Politiker stamme.
Aktivisten wie McOure wehren sich nicht zuletzt gegen den kulturell tief verankerten Respekt gegenüber älteren Menschen – zumindest, wenn er zur Unterdrückung von berechtigter Kritik ins Feld geführt wird. Andere Abgeordnete begegnen McOures fulminanten Reden zur miserablen Regierungsführung mit der plumpen Behauptung, er sei nicht wie behauptet 26, sondern einige Jahre älter – und damit überhaupt kein Teil der „Gen Z”.
Der Aktivist lacht in solchen Momenten nur. Die Anliegen seiner technikaffinen Altersgruppe ähneln denen der Millenials, die sich als Teil der Bewegung sehen. Doch während früher ethnische Zugehörigkeiten zerstörerische Proteste und Unruhen prägten, meldet sich die „Gen Z” so einflussreich wie keine Generation in Kenias demokratischer Geschichte zu Wort. Es ist die erste Generation im Land, die mit einigermaßen erschwinglichem Internet-Zugang aufwuchs.
Ihre Proteste brandeten Mitte Juni in mehreren Städten auf, als das Parlament über ein neues Finanzgesetz zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 2,7 Milliarden Dollar generieren wollte. Besteuert werden sollten auch Grundnahrungsmittel, die wegen der hohen Inflation schon davor deutlich teurer geworden waren. Die Auswirkungen derartiger Maßnahmen sind in dem hochverschuldeten Entwicklungsland weit dramatischer als in den Industrienationen. Der durchschnittliche Haushalt in Kenia gibt fast die Hälfte des Einkommens für Lebensmittel aus. In Deutschland sind es weniger als zehn Prozent.
Natürlich setzt sich die „Generation Z” in Kenia für ähnliche Themen ein, die mit ihr auch in Europa verbunden werden – Umweltschutz oder mentale Gesundheit etwa. Aktivisten wie McOure ziehen aber auch gegen Femizide und Polizeigewalt auf die Straße. Andere Schlagworte, wie „Work-Life-Balance”, also das harmonische Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben, erscheint in so manchem afrikanischen Land wie Hohn.
80% der Kenianer sind jünger als 35 Jahre alt. Sie sind besser ausgebildet und gesünder als ihre Eltern. Auch die Versorgung ihrer eigenen Kinder ist besser, die Kindersterblichkeit hat sich seit dem Jahr 1990 mehr als halbiert. Doch jeder dritte junge Kenianer ist arbeitslos – und das basiert auf eher konservativen Berechnungen. Ein enormer Kontrast zu den Industrienationen, wo die Jugendarbeitslosigkeit vielerorts auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten ist. Nie war es in Kenia so einfach, die eigene Lebenswirklichkeit mit der in anderen Teilen der Welt abzugleichen. Und die Leistung der politischen Elite in Relation zu setzen.
„Wir erleben täglich, wie die Preise für Lebensmittel in die Höhe schnellen, bei Maisgerichten in wenigen Monaten verdoppeln”, sagt der der Aktivist Larry Dwayne aus dem Slum Kibera am Telefon. Jahrelang engagierte sich der Musiker vor allem für den Umweltschutz, nun kämpft er für sozio-ökonomische Gerechtigkeit: „Dies ist nicht nur eine wirtschaftliche Krise, es ist eine moralische Krise – systemisches Versagen”, sagt er, „wir haben gesehen, wie alte Politiker immer wieder dieselben alten Hoffnungen recyceln und uns dann im Stich lassen. Das muss sich ändern, und es muss sich von oben ändern.”
Kenias „Generation Z“ wehrt sich vor allem gegen wirtschaftliche Benachteiligung und Korruption. „Generation Z ist kosmopolitischer, verknüpfter und weniger an ihre ethnischen Gruppen oder politischen Parteien gebunden. Das macht es einfacher, sie zu mobilisieren”, schreibt Waithaka Iraki, Wirtschaftsprofessor an der Universität Nairobi, in einem Beitrag der Plattform „The Conversation”.
Das Wirtschaftswachstum habe nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt gehalten, so Iraki. Die meisten jungen Erwachsenen würden nur im informellen Sektor Arbeit finden. „Kenias Versagen, ausreichende Chancen für seine gebildete Jugend zu schaffen, rächt sich für die Politiker”, bilanziert der Wissenschaftler.
Die Wut ist existenzieller Natur, bei den Protesten wurden Dutzende junge Menschen getötet. In Kenia käme niemand auf die Idee, „Gen Z“ als verweichlichte „Generation Schneeflocke” zu verunglimpfen. Dafür ist die Jugend in ihrem Aktivismus auch schlicht zu erfolgreich, zu vehement. Präsident William Ruto lenkte ein, nahm die Steuererhöhungen zurück und entließ kurzerhand fast sein gesamtes Kabinett. Sechs gefeuerten Ministern übergab er allerdings einfach neue Ministerien. Und Mitte August gab die Regierung bekannt, einige der zurückgenommenen Steuern doch durchsetzen zu wollen. Die enorme Schuldenlast lasse keine andere Wahl, so die Argumentation, schließlich geht rund die Hälfte der Regierungseinnahmen für die Rückzahlung von Schulden drauf. Die „Gen Z” aber hält die hohe Korruption für den eigentlichen Grund für die Zahlungsschwierigkeiten – und sie geht weiter auf die Straße, wenn auch nicht mehr so vehement wie noch Ende Juni. Sie fordert den Rücktritt von Ruto. McOure sagt: „Die Bewegung hat gerade erst begonnen.”
Der simbabwische Analyst Tafi Mhaka, glaubt in einem Beitrag auf der Webseite des TV-Senders schon einen „afrikanischen Frühling“ in Subsahara-Afrika zu erkennen.
„Die aktuelle Situation in Kenia erinnert mich an die frühen Tage des tunesischen Aufstands“, schreibt Mhaka. Die dortigen Demonstrationen im Dezember 2010 waren wie nun in Kenia durch rasant steigende Lebenshaltungskosten mitinspiriert wurden. So wie sie sich damals wie ein Lauffeuer im Nahen Osten und in Nordafrika ausbreiteten, so habe sich die „Gen Z“-Wut zuletzt in Teilen Subsahara-Afrikas verbreitet.
Mhaka ist sich sicher: „Auch die dort aufkeimende Protestbewegung hat diesen Punkt erreicht, von dem es kein Zurück mehr gibt.“