Christian Putsch

Pioniere gegen Deutschlands Fachkräfte-Fiasko

Christian Putsch
Pioniere gegen Deutschlands Fachkräfte-Fiasko

Die Ampelkoalition verspricht vollmundig den Ausbau der dringend nötigen Fachkräfteeinwanderung. Eine Kölner Spedition aber verzichtet auf Hilfe von Staat und Personalvermittlern – und machte sich ausgerechnet in den Krisenstaaten Kongo und Burkina Faso selbst auf die Suche. Ein Husarenritt mit beachtlichem Erfolg, trotz so manch bürokratischer Hürde. Projektverantwortliche und Bewerber berichtenDer Anruf kam vor einigen Monaten, als Ichaka Badayara gerade eine Vorlesung an der Universität in Ouagadougou hatte. Ein Freund war dran. Eine deutsche Spedition wolle nach Burkina Faso kommen, um LKW-Fahrer anzuwerben, erzählte er: „Das wäre doch was für dich.“

Der junge Mann, 21, zögerte nicht und reichte seine Unterlagen für das zweitägige Auswahlverfahren ein. Mit Erfolg. Badayara gehört zu den 18 erfolgreichen Kandidaten der Kölner Spedition „Emons“, die in einigen Tagen für ihre dreijährige Ausbildung zum LKW-Fahrer nach Deutschland reisen werden. Das Visum ist bewilligt, alle Genehmigungen der deutschen Behörden liegen vor. „Für mich ist das ein Traum, den ich schon als Kind hatte“, sagt Badayara überschwänglich am Telefon, auf beachtlich gutem Deutsch.

Was für ihn ein Traumberuf ist, kommt für die meisten jungen Menschen in Deutschland erst gar nicht mehr infrage. In kaum einer Branche ist die Personalnot so ausgeprägt wie bei den Speditionen, den unverzichtbaren Arterien der deutschen Wirtschaft. Allein 100.000 LKW-Fahrer fehlen. Firmen werben vergeblich in Schulen um Nachwuchs, auch im osteuropäischen Ausland ist das Interesse denkbar niedrig, die Konkurrenz aus anderen Industrienationen zudem groß.

Das Problem des Fachkräftemangels könnte für die deutsche Wirtschaft bald zur größten Standort-Bedrohung werden, warnen Arbeitgeberverbände. Entsprechend gehört das Thema auch zunehmend zum Reisegepäck bei Afrika-Reisen deutscher Minister. Im vergangenen Jahr reisten Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) jeweils nach Ghana.

Und Kanzler Olaf Scholz (SPD) sorgte bei einem Besuch in Kenia für mächtig Erwartungsdruck. 250.000 Jobs gebe es für Kenianer in Deutschland, behauptete Präsident William Ruto nach den Gesprächen. Mit beiden Ländern sind die ersten deutschen Migrationsabkommen in Subsahara-Afrika kurz vor der Unterzeichnung, was tatsächlich mehr bezwecken soll als die damit verbundenen Rückführungsabkommen – beide Länder zählen schließlich nicht zu den wichtigsten Herkunftsländern für illegal eingereiste Migranten.

Diese sind in der politischen Debatte ungleich präsenter als die oft versprochenen und dringend benötigten legalen Migrationswege. So langsam aber kommt etwas Schwung in die Personalsuche. Für Länder wie Namibia und Tunesien hat Deutschland eigene Anwerber-Webseiten eingerichtet. Hotline inklusive.

Warum also rekrutiert ein familiengeführter Konzern wie Emons mit 3600 Mitarbeitern weltweit auf eigene Faust in Burkina Faso, einem Land, das zuletzt eher durch Anti-Terror-Kampf und einen Putsch Schlagzeilen machte? Anruf bei Christiane Bauer, der Emons-Personalchefin. „Wir haben gedacht, wir nehmen die Sache mal selbst in die Hand“, sagt sie. 35 Azubis werden in ihrem Unternehmen derzeit zu LKW-Fahrern ausgebildet. Kapazitäten gäbe es für bis zu 100.

Die Firma hat eigens eine Webseite in sechs Sprachen aufgesetzt, darunter Serbisch, Portugiesisch und Spanisch. Auf allen findet sich der Hinweis: keine Zusammenarbeit mit externen Personalvermittlern. Bauer will diese nicht über einen Kamm scheren, aber sie kennt zu viele Geschichten von Bewerbern, die mit teils leeren Versprechungen abkassiert werden, vierstellige Beträge an dubiose Mittelsmänner zahlen müssen. Und sie wolle die Leute selbst rekrutieren, von Beginn an Vertrauen aufbauen.

Größtes Interesse weckt die französisch-sprachige Sektion der Webseite – aus dem frankophonen Afrika. „Mein Chef meinte, flieg‘ mal los“, sagt Bauer, deren erste Reise in den Kongo führte. Dort hat Emons schon vor längerer Zeit einige Grundschulen mitfinanziert. Bauer spricht Französisch und knüpfte an bestehende Netzwerke an, überzeugte auch die dortige Deutsche Botschaft rasch und fand Unterstützung des örtlichen Goethe-Instituts für die Sprachkurse. Mit Erfolg: Die ersten acht eines Pilotprojekts sind gerade mit dem ersten Lehrjahr fertig.

„Es passt alles“, sagt Bauer. Auch, weil man umfassend denke. Von der Bereitstellung der Unterkünfte, einem einwöchigen Einführungskurs in Deutschland bis zur permanenten Kommunikation mit allen Beteiligten. Schließlich gibt es bisweilen auch Vorbehalte. In den Gemeinden, aber manchmal auch beim ein oder anderen Mitarbeiter.

Diese anfänglichen Bedenken seien längst abgebaut, sagt Bauer. Die Anwesenheitszeiten der Kongolesen in der Berufsschule seien „sehr, sehr gut“. Natürlich spiele dabei eine Rolle, dass das Visum an den Vertrag gekoppelt ist, und schon das Ausbildungshonorar von rund 1000 Euro Rücküberweisungen an Verwandte ermögliche. Die Übernahmechancen seien „top“, man könne mit einem guten Anfangsgehalt kalkulieren, einem Vielfachen der Verdienstmöglichkeiten in der Heimat.

Die Motivation stimme aber auch davon abgesehen, betont Bauer. Das gleiche gelte für die Integration. So mancher singe im Kirchenchor, sei im Verein aktiv. Die beiden Niederlassungen in Baden-Württemberg und Bayern, in denen die Kongolesen ausgebildet würden, hätten auch für den nächsten Jahrgang um Azubis aus Afrika gebeten. „Das machen die ja nicht, wenn sie unzufrieden sind“, sagt Bauer.

Die Nachfrage ist hoch, auch Konkurrenten aus der Speditionsbranche haben um Hilfe bei der Rekrutierung gebeten. Anfang des Jahres reiste Bauer entsprechend nicht nur in den Kongo, sondern auch nach Burkina Faso, wo im vergangenen Jahr bereits ein bayerisches Textilunternehmen 15 Azubis rekrutiert hatte. „In Ländern mit schwacher Zukunftsperspektive und instabiler Lage ist das Interesse besonders hoch“, sagt Bauer.

Eine Rolle spielte auch der gute Ruf des örtlichen Goethe-Instituts, es verzeichnet gute Ergebnisse bei den nötigen Sprachkursen vor der Abreise. Einmal mehr zeigt sich, dass derartige Einrichtungen in Westafrika wichtiger sind denn je, halten sie doch in Zeiten wachsenden russischen Einflusses westliche Soft-Power am Leben. Das Pendant der bei der lokalen Bevölkerung verhassten französischen Ex-Kolonialmacht, die „Alliance Française“, musste in Ouagadougou vor zwei Jahren schließen.

Moskau versucht zwar in der Sicherheitspolitik in die vom Westen hinterlassene Lücke zu stoßen, auf ziviler Ebene findet aber weder wirtschaftlich noch kulturell allzu viel statt. Im Frühjahr gab es eine kleine russische Fotoausstellung und einen kurzen Sprachkurs an einer Universität. Viel mehr als PR-Veranstaltungen waren das nicht.

Ende des Monats werden also auch 18 Azubis aus dem westafrikanischen Land zu Emons stoßen. Bauer ist die Leidenschaft für das Projekt anzumerken, sie hofft, die Bewerber langfristig ans Unternehmen zu binden. Doch herunterspielen will sie den bürokratischen Husarenritt nicht. Vor Ort seien die Deutschen Botschaften kooperativ, hätten die Wartezeiten für Visumsanträge verkürzt und Sammeltermine ermöglicht.

Doch in Deutschland ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz primär auf Menschen ausgerichtet, die bereits ein Studium abgeschlossen haben oder eine fertige Berufsausbildung vorweisen können.. Zuletzt gab es einige Erleichterungen für Azubis, doch die Formulare sind teils noch immer nicht entsprechend ausgelegt. „Hier wird meistens nur auf bereits ausgebildete Fachkräfte im Ausland eingegangen, aber nicht auf junge Schulabsolventen, die noch keine beruflichen Erfahrungen im Heimatland gesammelt haben“, sagt Bauer. Auch bei Fortbildungsveranstaltungen für deutsche Arbeitgeber werde auf dieses Thema „viel zu wenig“ eingegangen. Dabei sei das duale Ausbildungssystem für viele Menschen in Afrika interessant, biete auch für die Integration die größten Erfolgschancen.

Mit dem „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ habe man zwar gute Erfahrung gemacht, sagt Bauer die auch den persönlichen Austausch mit den Behörden lobt. Doch ihre Schilderungen klingen schon ein wenig nach einem Husarenritt durch deutsche Amtsstuben. Bauer beklagt mangelnde Digitalisierung und unnötig komplizierte Anträge und „sehr unterschiedliche Wissenstände“ von Beamten zum Thema. „Ohne Unterstützung ist das für Kandidaten aus dem Ausland oftmals eine absolute Zumutung“, sagt Bauer.

Den zukünftigen Berufskraftfahrer Badayara kann das nicht abschrecken. Er ist fest davon überzeugt, dass er die Chance in Deutschland nutzen wird. Er will langfristig bei Emons arbeiten, sagt er, sich vielleicht irgendwann fortbilden. Einen Zug zu steuern, würde ihn eines Tages auch reizen.

Es bleibt abzuwarten, ob sich auch der aktuelle Zustand der Deutschen Bahn mit seinen Träumen vereinbaren lässt.