Christian Putsch

Aus dem Innenleben von Nigerias Mafia

Christian Putsch
Aus dem Innenleben von Nigerias Mafia

 “Black Axe” gilt als die mächtigste kriminelle Organisation Afrikas. Zuletzt gab es auch in Europa vermehrt Ermittlungen gegen ihre Strukturen – ein Insider bricht das Schweigegelübde des Kults

Die Männer sind in Schwarz und Gelb gekleidet, sie haben sich in der Nacht in einem Waldstück außerhalb von Nigerias Metropole Lagos getroffen. Sie trinken, tanzen, formen schließlich einen Ring um Francisco, der bald einer der ihren sein wird. Nun prügeln sie auf seinen Rücken ein. Die Schläge werden ihn von Schwäche befreien, schreien sie, ihm Tapferkeit einverleiben. Doch Francisco bricht zusammen, hat kaum genug Atem, um seinen Treueschwur abzulegen. Eine Woche wird er im Krankenhaus bleiben.

Fast 20 Jahre ist das gefürchtete Aufnahmeritual in den kriminellen Kult “Black Axe” nun her. Francisco hat sich bereit erklärt, in einem Video-Interview sein Schweigegelübde zu brechen. Ein Mittelsmann hat den Kontakt hergestellt, unter der Bedingung, dass diese Zeitung nicht den richtigen Namen verwendet, das Gesicht verbirgt. Wer “Black Axe” verrät, der muss mit dem Schlimmsten rechnen. “Es wäre mein Todesurteil”, sagt Francisco, der nicht Francisco heißt.

Er gehört zu den kleineren Fischen der mafiösen Organisation, die in diesem Jahr weltweit Schlagzeilen macht. Von April bis Juli lief in 21 Ländern die Interpol-Fahndung “Jackal III”. Sie zielte auf Online-Finanzbetrug und die dahinterstehenden westafrikanischen Syndikate ab, allen voran “Black Axe”. Es gab 300 Festnahmen, elf davon in Deutschland. 720 Bankkonten wurden gesperrt, Vermögenswerte in Millionenhöhe eingefroren.

Mit den Razzien auf allen Kontinenten sei ein “großer Schlag” gelungen, teilte Interpol mit, “das Volumen des Finanzbetrugs, das aus Westafrika stammt, ist alarmierend und nimmt zu.“ "Jackal III” habe “die dringende Notwendigkeit” einer internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung dieser umfangreichen kriminellen Netzwerke gezeigt.

Francisco weiß über die Machenschaften des Netzwerkes Bescheid, in seinem Haus treffen sich regelmäßig “Black Axe”-Mitglieder, mit Sorge beobachtet von seiner Frau. Der Whistleblower berichtet über Morde, Internetkriminalität, Drogenschmuggel und Schleppertum, auch für irreguläre Migration nach Europa. “Black Axe legt die Kosten vor – und lässt sich dann das Doppelte zurückzahlen, über Prostitution oder andere Wege.” Wer nicht zahle, riskiere sein Leben: “Die finden dich.”

Zu Universitätszeiten habe er sich angeschlossen, um sich vor anderen gewalttätigen Burschenschaften zu schützen. Er habe deren Studenten ausgeraubt, aber keine schwereren Verbrechen zu verantworten, sagt er.  Seitdem sei er lediglich eines der “Augen”, der Polizei und rivalisierende Bruderschaften in seiner Nachbarschaft beobachtet, neue Mitglieder anwirbt. Er arbeitet in der Unterhaltungsindustrie, profitiert im Gegenzug vom Black-Axe-Netzwerk mit kleinen Gefälligkeiten in der Branche. “Wenn man ein Problem hat, weiß man, dass jemand hilft”, sagt Francisco, “egal bei welchem Problem.”

Auch in Nigeria gab es zuletzt Verhaftungen, in einem Bundesstaat wurde gar ein Sondergericht für derartige Kulte eingerichtet. Das Gang-Mitglied lässt das kalt, schließlich hat “Black Axe” Einfluss bis in die hohe Politik. Als vor einigen Jahren Polizeivertreter eines europäischen Landes zu Besuch in Nigeria waren und die internationale Ausweitung der Aktivitäten der Gruppe gegenüber Politikern und Sicherheitskräften zur Sprache brachten, stießen sie auf angespanntes Schweigen, berichtet ein Teilnehmer des Treffens. Hinter vorgehaltener Hand teilte man den Gästen danach mit, es sei zu gefährlich, darüber zu sprechen.

Von den Ursprüngen der nigerianischen Bruderschaften bleibt wenig übrig. Die erste ist im Jahr 1952 die “Pyrates”, im Kern eine pan-afrikanische und anti-koloniale Organisation. Gegründet wird sie an einer Universität von Wole Soyinka, der später als erster afrikanischer Literaturnobelpreisgewinner Weltruhm erlangt. Splittergruppen entstehen, darunter die “Black Axe”: Ihr Logo zeigt zwei angekettete Fäuste, eine schwarze Axt durchtrennt die Kette der Unterdrückung.

Doch Militärherrscher instrumentalisieren die Gruppen in den 1980er Jahren, geben ihnen Geld und Waffen für den Kampf gegen Studentenverbände, die eng verwoben sind mit der Demokratiebewegung. So geschickt wie “Black Axe” hat seitdem keine der Gruppen ihr Netz ausgespannt. “Wir sind die mächtigste Instanz im Land”, sagt Francisco, “mindestens so einflussreich wie die Mafia in Italien.” Und auch in Europa habe man die Aktivitäten zuletzt “auf ein neues Level” gebracht.

Einer, der die Expansion genau beobachtet, ist Stephan Fuchs, Co-Direktor von “Victras”, einer Schweizer Schutzorganisation für Opfer von Menschenhandel und Gewaltbetroffene. In einem Schutzhaus der Organisation sind auch Frauen aus Nigeria untergebracht, die für Prostitution nach Europa geschleust wurden. Seit vielen Jahren recherchiert der ehemalige Journalist zum Thema, berät auch die Behörden in Deutschland und der Schweiz.

“Die Ermittler in Europa haben “Black Axe” lange unterschätzt”, sagt Fuchs, “die Organisation ist hier seit Jahrzehnten tätig.” Wiederholt seien Einzelpersonen wie Drogendealer aufgefallen, die Mitglieder von “Black Axe” waren – die Untersuchung der bandenmäßigen Strukturen sei aber vernachlässigt worden. Die Interpol-Zugriffe hätten die Organisation immerhin etwas geschwächt: “Zumindest haben sie ansatzweise erkennen lassen, um was es geht.”

In Italien hat man das vergleichsweise früh realisiert. Dort wurde die Organisation als Mafia klassifiziert, so dass schon die Mitgliedschaft strafbar ist und mehr staatliche Mittel für die Bekämpfung zur Verfügung stehen. In Deutschland drohen für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. Doch als solche ist “Black Axe” dort nicht eingestuft.

Dabei legt die Gruppe auch in Europa “ein hohes Maß an Organisationstalent” an den Tag lege, sagt Fuchs. So habe man die illegalen Erlöse teilweise in Nachtclubs und Restaurants investiert, wo Geldwäsche stattfinde. “Die rechtlichen Strukturen in Deutschland sind anders als in Italien”, sagt er, “es braucht wohl noch einige erfolgreiche Verfahren, um zu beweisen, dass “Black Axe” und ähnliche Organisationen dahinterstecken.”

Doch auch in Deutschland gab es vor “Jackal III” Ermittlungserfolge, sagt Lisa Erlmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Bundeswehr München. „Hotspot der Aktivitäten ist Bayern, wohin „Black Axe“ seine Aktivitäten von Italien aus kommend ausgeweitet hat“, berichtet sie. Im bayerischen Verfassungsschutzbericht werde die Gruppe schon seit dem Jahr 2021 namentlich genannt.

Bei den Verhaftungen steche Nordrhein-Westfalen hervor. Dort habe es schon seit dem Jahr 2016 größere Zugriffe geben. „Es ging um Menschenhandel mit sexueller Ausbeutung, Drogenhandel und Cybercrime“, sagt Erlmann, die zum Thema forscht. Der Schaden sei erheblich, die kriminellen Strukturen hätten sich verfestigt. Immerhin: „Das Thema hat inzwischen eine gewisse Relevanz auf sicherheitspolitischer Ebene.“

In Lagos behauptet Francisco, er werde immer zu „Black Axe“ gehören, halte sich aber weiter aus den schweren Verbrechen raus – auch wenn das bedeutet, dass er in der Hierarchie unten bleibt. In die Führungsriege stoßen die “Metzger” vor, die Anliegen von “Black Axe” auch mit Waffen durchsetzen. In Nigeria scheiben die Behörden dem Kult Hunderte Morde zu, vielleicht sogar Tausende im Laufe der vergangenen Jahrzehnte. Bei einigen Opfern wurden Köpfe und Hände abgetrennt.

Francisco ist mit derartigen Taten nicht einverstanden – das ist einer der Gründe, warum er dem Interview zugestimmt hat. Doch auch er besitzt eine Pistole. Kam sie je zum Einsatz? Der Mann lässt die Frage unbeantwortet. An manchen Stellen greift sein Schweigegelübde weiter.