Christian Putsch

Zwischen dem Schweren ist es wunderschön

Christian Putsch
Zwischen dem Schweren ist es wunderschön

Vier Jahre sparte ein hessisches Paar auf ihre Afrika-Reise mit dem Motorrad. Dann kam die Pandemie. Und sie fuhren trotzdem los

Als sich nach 45.000 Kilometern im Motorradsattel die berühmte Kontur des Tafelbergs am Horizont abzeichnete, da hielt Joana Breitbart einen Moment inne. Sie musste an das Gelächter mit neuen Freunden im Sudan denken, die Tränen nach Begegnungen mit korrupten Zollbeamten in Ägypten, die Sorge an der Grenze zum krisengeschüttelten Äthiopien. Die spektakuläre Natur, die vom Moped aus irgendwann zur meditativen Erfahrung wird.

Und auch ein bisschen an all jene in der hessischen Heimat, die der 31-Jährigen und ihrem Lebensgefährten Joshua Steinberg, 30, von der Reise abgeraten hatten. „Das schafft ihr nie“, hatten ihnen angesichts der Covid-Krise einige nachgerufen. Klar schaffen wir das, hatte das Paar entgegnet. Virus hin oder her.

Gut ein Jahr später, nach unzähligen Stunden mit unzähligen Begegnungen auf mal mehr, mal weniger staubige Straßen, sind sie also in Kapstadt angekommen. Die eher gemächliche Stadt wirkt auf sie nach all der entschleunigten Zeit fast hektisch. Ein bisschen in Erinnerungen schwelgen bei Bierchen und Chicken Wings im „House of Machines“, der besten Biker-Kneipe Kapstadts, aber es juckt schon wieder. Bald wollen sie weiter. Zurück auf den Asphalt. Weiter, in neue Länder.

Über ihre Homepage (www.wetzlosweltwaerts.de) und die sozialen Netzwerke verfolgten Tausende Reisesüchtige auf Entzug ihren Trip durch bislang 13 Länder, vom beschaulichen Heimatdorf Haunetal-Wetzlos, über Italien, Tunesien, Ägypten, Sudan, Kenia, Tansania, Sambia, Namibia und nun Südafrika. Nie schneller als 90 – mit „lebenserhaltender Geschwindigkeit“ also, wie sie sagen.

Vier Jahre hatten der Rettungssanitäter und die Erzieherin auf die Reise gespart. 350 Euro Miete, ein uraltes Auto, billiges Handy, noch keine Kinder, „dann kann man zwei Jahre reisen“, sagt Joshua Steinberg. Zumindest wenn man bescheiden ist, meist im Zelt übernachtet. Oder fast überall Leute kennenlernt, die sie manchmal wochenlang in ihre Häuser einladen. „Nur so ist es doch eine Reise“, sagt er, „die Bilder der Länder kann ich mir auch auf National Geographic anschauen.“

Die Motorräder, zwei Honda CRF250L, je 3000 Euro, wiegen gerade einmal 135 Kilogramm. Leicht genug, um sie auch nach einem Sturz auch aus tiefen Wüstensand wieder aufzurichten. Und simpel genug, um auch in den entlegensten Gegenden Ersatzteile aufzutreiben.

Schon im Jahr 2014 war Steinberg, damals 23, einfach losgefahren. Nach dem abgebrochenen Medizinstudium kehrte er seine Ersparnisse zusammen und fuhr Afrikas Westküste hinunter. Trotz der Umwege wegen der Terroristen von Boko Haram, die Nigeria tyrannisierten. Und trotz des Ebola-Virus, das damals in einigen Ländern wütete. „Das war ein bisschen so wie jetzt“, sagt Steinberg, „überall Fieberthermometer und Masken“.

Von Widerständen haben sich die beiden also noch nie zurückhalten lassen. Und sie hatten schließlich Erfahrung, sind vor einigen Jahren schon durch Südamerika gefahren. Also nahmen sie kurz vor der zweiten Covid-Welle die letzte Fähre von Sizilien nach Tunesien. Eine Sackgasse, so schien es wegen mancher geschlossener Grenze – die Reise drohte zu scheitern. Wie bei so manchen Freunden, die abbrechen mussten. Zudem kam die dringend benötigte Diabetes-Medizin für Steinberg auch nach über einem Monat nicht an. Stundenlang bearbeiteten seine Verwandten die Hotline des Paketdienstes, kannten dort irgendwann jeden Mitarbeiter beim Vornamen. Dann fügten sich die Dinge. Das Päckchen tauchte doch noch auf. Und sie lernten einen netten Mitarbeiter von „Egypt Air“ kennen, der den Transport der Motorräder nach Ägypten zum Freundschaftspreis arrangierte. 

Dort aber gaben korrupte Zollbeamte die Zweiräder erst nach einigen Tagen und der Zahlung eines kleinen Vermögens frei. „Da sind schon Tränen geflossen“, sagt Joana Breitbart, „ein schlechter Einstieg auf dem Kontinent, aber auch einige der wenigen negativen Erfahrungen.“ Von da an sollten die beiden fast ausschließlich nette Menschen treffen. Und den Kontinent in seiner vollen Schönheit erleben.

Im Sudan zum Beispiel. Ein kompliziertes Land, wo man ohne Beziehungen bisweilen schon für Benzin stundenlang anstehen muss. Aber auch eine der gastfreundlichsten Nationen des Kontinents. Steinberg hatte lange für das „Rote Kreuz“ gearbeitet, steuerte sofort das örtliche Büro der Hilfsorganisation an. „Sind wir Freunde?“ fragte er einen der Mitarbeiter grinsend nach einem kurzen Plausch. „Nein“, antwortete dieser, „wir sind keine Freunde. Wir sind Brüder.“ Einige Tage schliefen sie bei seiner Familie.

Eine andere Mitarbeiterin des Roten Kreuzes lud sie gleich für mehrere Wochen ein. So entstand eine ungewöhnliche Freundschaft, in einem Land, das nach der Revolution vor zwei Jahren seinen Kurs zwischen ultra-konservativem Islam und Aufbruch sucht. Besonders mit den hoch qualifizierten Töchtern, alle um die 30, alle geschieden, alle mit gutem Grund. Doch gesellschaftlich ist das nicht akzeptabel. „Die Mutter sprach vier Monate lang nicht mit ihnen“, sagt Breitbart. Und der Vater musste sich von Bekannten die Frage gefallen lassen, wie es sein könne, dass seine Töchter noch immer selbst arbeiten gehen. Nach neun Uhr darf zumindest offiziell keine von ihnen das Haus verlassen. Auch der Auszug in eine eigene Wohnung ist für Unverheiratete ein Tabu. 

Es entstanden lange Gespräche. Über Träume, die im Sudan noch immer üblichen Beschneidungen – und Boxkämpfe. Eine der Töchter hat den Sport in einem Verein gelernt, forderte Joshua auf dem Dach des Hauses zum Sparringskampf heraus. Der freute sich über die Bewegung. Beide halten sich sonst während der Reise mit Terrabändern fit, sonst würden die Muskeln wegen der langen Tage auf dem Motorrad verkürzen. 

Das Paar erlebte, welche Bedeutung Familie haben kann. „Es gibt keine Versicherung, wenn der Job weg ist. Kein Krankenhaus, wenn man krank ist – manchmal nicht mal Wasser und Strom“, sagt Steinberg, „das einzige, was immer da ist, ist die Familie.“ Er hat sich in Deutschland lange in der Flüchtlingshilfe engagiert, hat viele kennengelernt, die auch nach Jahren noch täglich die Verwandten in der Heimat anrufen. Erst jetzt hat er verstanden, warum das so wichtig ist.

Für die Gastfreundschaft und Einblicke in die sudanesische Kultur revanchierten sich die Hessen. „Als wir kamen, funktionierten fünf Steckdosen im Haus“, sagt Steinberg, „als wir gingen alle 20.“ Als einer der erwachsenen Söhne aber begann, Joana wie auch die Töchter herumzukommandieren, fand Steinberg klare Worte. Warum sie sich das gefallen lassen würden, fragte er die jungen Frauen. Anders als sie habe der Mann keinen Job, dafür aber eine Menge Übergewicht, polterte Steinberg. Für den diplomatischen Dienst ist er eher nicht geeignet.

Es vergingen einige schweigsame Tage, doch beim Abschied flossen dafür umso mehr Tränen. „Normalerweise flaut der Kontakt nach einigen Wochen etwas ab“, sagt Breitbart, „aber mit dieser Familie ist eine richtig enge Bindung entstanden. Wir schreiben uns noch immer sehr oft.“ 

Eigentlich wollten sie nun nach Äthiopien. Doch die Grenze war wegen des Bürgerkrieges in Tigray zu. Es wäre nicht die erste Straßensperre gewesen, die sie informell umfahren, auch nicht der erste Grenzübergang. Doch als sie Gerüchte über in dem Krisengebiet getötete Touristen aus Spanien hörten, buchten sie lieber einen Flug nach Kenia.

Dort hatte die Pandemie erstmals auch einen kleinen Vorteil. Das Paar konnte sich die Besteigung des Mount Kenia leisten – sie kostete wegen der Pandemie nicht einmal die Hälfte des üblichen Preises. Und in dem ostafrikanischen Land bekamen sie auch endlich ihre Covid-Impfung. Sputnik. In der Europäischen Union ist der russische Impfstoff nicht zugelassen. Das Paar aber war froh, überhaupt eine Möglichkeit zu haben. 

Doch das sind nur noch Randnotizen. Stundenlang erzählen sie von den Menschen. Den kleinen Begegnungen am Straßenrand, wo in Zeiten der Pandemie wenige Motorradreisende vorbeikommen. Und von der atemberaubenden Natur natürlich, in die man am besten mit kleinen Motorrädern vordringen kann. Die ägyptische Wüstenlandschaft südwestlich von Bahariyya etwa ist für sie unvergesslich, die Sahara bei Douz in Tunesien, auch die Erongo-Berge in Namibia. Überhaupt die unglaublichen Weiten des Kontinents.

Sie sind noch inmitten ihrer Reise. Simbabwe und Mosambik sollen in Afrika folgen, danach geht es für einige Monate nach Asien. Eine Route, bei der sicherlich noch die ein oder andere Hürde wartet. Das aber macht für Joana Breitbart gerade den Reiz aus. „Denn zwischen dem Schweren“, so sagt sie, „ist es wunderschön.“

(Fotos: Joshua Steinberg)