Christian Putsch

Szenen einer südafrikanischen Zweckehe

Christian Putsch
Szenen einer südafrikanischen Zweckehe

Jahrzehntelang waren der ANC und die DA politische Erzrivalen in Südafrika. Seit fünf Monaten lenken die gegensätzlichen Parteien nun die Geschicke des Landes gemeinsam als Koalitionspartner. Das sorgt für Reibung aber auch vorsichtigen Optimismus im Land. Besuch beim neuen Innenminister Leon Schreiber von der DA, der wie kaum ein anderer für diesen Balanceakt steht

Der Blick aus seinem Büro ist für Südafrikas Innenminister Leon Schreiber eine stete Erinnerung an die Vehemenz der Aufgabe, vor der seine Regierung da steht. Aus dem achten Stock blickt der erst 36 Jahre alte Politiker auf das ausgebrannte Dach des ehrwürdigen Parlamentsgebäudes. Fast drei Jahre ist das wohl von einem Brandstifter verursachte Großfeuer in Südafrikas Symbol der Demokratie her. Eine „gute Metapher“ sei das, sagt Schreiber. Es gibt einiges zu tun bei der überfälligen Reparatur der staatlichen Strukturen.

Über Jahrzehnte hinweg waren die Institutionen vom „African National Congress“ (ANC) untergraben worden. Jener Partei, mit der Schreibers langjährige Oppositionspartei „Democratic Alliance“ (DA) seit Juni im Verbund auftritt. Beide wurden nach desaströsen Wahlverlusten des ANC zu den wichtigsten Koalitionspartnern im Rahmen einer Regierung der Nationalen Einheit. Schreiber übernahm als Innenminister das wichtigste der sechs DA-Ministerien.

Es ist ein Bündnis der Gegensätze. Der linke ANC und die liberal-wirtschaftsfreundliche DA hatten sich im Wahlkampf hat bekämpft, eine Koalition lange kategorisch ausgeschlossen. Danach aber lenkten beide doch ein, in der Erkenntnis, dass die Alternative das Land wirtschaftlich in den Abgrund geführt hätte: ein ANC-Pakt mit den linksradikalen „Economic Freedom Fighters“. Oder – noch desaströser: mit der antikonstitutionellen „MK“-Partei des korrupten Ex-Präsidenten Jacob Zuma.

Knapp fünf Monate ist die Vereidigung von Schreiber nun her. Er kommt mit schnellen Schritten in sein Büro, ein Ausschusstreffen hatte sich verzögert, noch auf dem Flur sprechen ihn Mitarbeiter für kurze Rückfragen an. Er muss ein Ministerium aufräumen, das wie wenige andere für den desolaten Zustand Südafrikas stand. Und das, ohne dabei den Hauptverantwortlichen allzu offensiv anzugehen: den neuen Koalitionspartner ANC, unter dessen Ägide das Ministerium bislang geführt worden war. Schreiber fand 247.000 unbearbeitete Anträge für Personalausweise vor. Kriminelle Syndikate hatten das Ministerium unterwandert, das Parlament orderte eine Untersuchung an: 45.000 Visa wurden zwischen den Jahren 2014 und 2021 illegal ausgestellt.

Kaum ein anderer Minister präsentierte sich in den vergangenen Monaten so emsig wie Schreiber. Er gehört zu einer jungen Riege aufstrebender Politiker der DA, der Kritiker vorwerfen, dass sie allzu oft Weiße wie Schreiber in den wichtigsten Positionen platziert. Der hält entgegen, dass die Führung der Partei weit diverser sei als bisweilen dargestellt, verweist auf Bildungsministerin Siviwe Gwarube und Kommunikationsminister Solly Malatsi. Zudem hätten noch nie so viele Schwarze die Partei gewählt. „Die Hautfarbe spielt natürlich eine Rolle in der südafrikanischen Politik, und das wird noch lange so sein”, sagt Schreiber, „aber eines Tages werden wir hoffentlich den Punkt erreichen, wo nur noch zählt, wer den Job am besten macht.”

Seine Bilanz kann sich dabei bislang sehen lassen. Der Rückstau der Ausweis-Anträge ist abgebaut. Die Visa-Vergabe wurde reformiert, die überfällige Digitalisierung der Verwaltung vorangetrieben. Und Dutzende korrupte Beamte wurden gefeuert. „Es gibt im Innenministerium viele Feuer. Aber wir haben auch viele gute Feuerwehrleute.“ Er klingt dabei nicht triumphierend. Sondern wie einer, der Aufbruchstimmung verbreiten will.

Entsprechend lenkt er das Gespräch schnell auf positive Aspekte der bisherigen Koalitionsbilanz. Seit Monaten gab es keine Stromausfälle mehr. Die Behörden vermelden fast 300.000 mehr Jobs, wenngleich die Arbeitslosigkeit mit 32 Prozent noch immer zu den höchsten der Welt gehört und das Wirtschaftswachstum weiter bei rund 1 Prozent stagniert. Die Beziehung zwischen den Parteien sei „stabil, mit kreativer Spannung“, sagt Schreiber, beide hätten die Entwicklung Südafrikas „im Fokus“.

Doch die Gegensätze sind unübersehbar, etwa zum Ukraine-Krieg, bei dem der ANC weiterhin eine eher Kreml-freundliche Außenpolitik vorzugeben versucht. So bezeichnete Präsident Cyril Ramaphosa (ANC) Russland kürzlich als „Südafrikas Freund und Alliierten“. Es war Schreiber, der im Sinne der pro-westlichen DA daraufhin die Ukraine fast wortgleich als „geschätzten Alliierten und Freund“ lobte und ganz nebenbei die Visumsbefreiung für ukrainische Diplomaten und Regierungsmitarbeiter verkündete. Mit Letzteren kam er Ramaphosa zuvor, der sich entsprechend empört zeigte: „Es ist unklar, wie der Minister das verkünden kann“, kommentierte sein Sprecher den Bruch des Protokolls.

Schreiber tut das als „Kommunikationsprobleme“ ab, als „Lernprozess“ und „Beispiel für weiteren Verhandlungsbedarf“ zwischen den beiden Parteien, denen die Verfassung nur zwei Wochen zur Koalitionsbildung liess. Der Nachhall des Fauxpas war auffällig kurz, wie bei fast allen Reibungspunkten der vergangenen Monate. So stimmte der ANC für die Abwahl des DA-Bürgermeisters der Hauptstadt Pretoria. Das könne „großen Einfluss auf den Erfolg der Koalitionsregierung“ haben, drohte Helen Zille zunächst, die weiter enorm einflussreiche „Grand Dame“ der DA.

Doch zu einer wirklichen Eskalation kam es nicht. Auch Skandale um den ehemaligen Sportminister Zizi Kodwa und die aktuelle Justizministerin Thembi Simelane, beide ANC, kritisierte die DA defensiver als gewohnt. Auf der anderen Seite reagierte der ANC wenig kampflustig, als die DA zwei Youtuber hochrangige Posten gab, die in der Vergangenheit mit rassistischen Aussagen aufgefallen waren – und sie nur zögerlich wieder aus ihren Reihen entfernte. Das politische Bündnis bleibt ein Balanceakt, zumal kontroverse Themen wie die Reform des öffentlichen Gesundheitssystems erst allmählich auf die Agenda rücken. Und weil die DA den reichlich ambitionierten Anspruch hat, den ANC bei den nächsten Wahlen als stärkste Partei abzulösen.

Wohl niemand war auf dieses Spannungsfeld besser vorbereitet als Schreiber. Seine Promotion machte er einst an der Freien Universität in Berlin, Beobachtungen zur deutschen Politik flossen in sein Buch „Koalitionsland“ aus dem Jahr 2018, in dem er den bevorstehenden Verlust der absoluten Mehrheit des ANC in Südafrika voraussagte.

Entsprechend leicht fällt ihm der Konter auf die Frage, ob seine Partei nicht eine auf Dauer fast unmögliche Zweckehe eingegangen sei. „Mit Verlaub, schauen sie, was gerade in Deutschland mit der Ampelkoalition passiert ist.“ Schreiber ist davon überzeugt, dass es in Südafrika besser laufen wird. „Natürlich kochen die Temperamente manchmal hoch“, sagt er. Der Unterschied zu Deutschland sei die noch weit größere Dimension der Krise am Kap: „Wir müssen es einfach hinbekommen.“