Sand - der kostbarste Rohstoff der Welt
Getrieben von Bauboom und Urbanisierung ist Sand nach Wasser zum weltweit meistgehandelten Rohstoff geworden. Im Senegal sind die Folgen für die Küste verheerend. Die Regierung geht mit zunehmenden Nachdruck gegen Sanddiebe vor. Doch die machen unbeirrt weiter. Ein Besuch
An den kräftigen Armen klebt noch der Sand, Spuren des nächtlichen Erwerbs. Es ist kurz vor Mitternacht, zwei Mal hat Abdulayi in den vergangenen Stunden seinen Pferdekarren mit Sand beladen und in sein Dorf Kayar an Senegals Küste gebracht. 2500 CFA-Franken, umgerechnet vier Euro, bekommt er pro Fuhre, die er heimlich an Anwohner und eine kleine Baufirma in seiner Nachbarschaft verkauft. Werbung darf er nicht machen, schließlich ist sein Gewerbe illegal. Aber jeder kennt ihn hier in Kayar, jeder hat seine Telefonnummer.
Für heute liegen keine weiteren Bestellungen vor. Zeit für einen Tee in einem unscheinbaren Hinterhof einer Seitenstraße, süß und heiß, müde ist der muskulöse 28-Jährige noch nicht. Er ist es schließlich gewöhnt, die Nächte durchzuarbeiten, seitdem Senegals Regierung vor einigen Jahren die Förderverbote von Sand mit neuem Nachdruck durchsetzt. Bei Tageslicht ist sein Handwerk zu gefährlich geworden.
Oft ist er bis zum Morgengrauen unterwegs, sein Rekord liegt bei zehn Fuhren in einer Nacht. Kein anderer Sanddieb in Kayar versteckt sich so geschickt vor der Polizei. Ein Freund von ihm wurde gerade erwischt und zu 15 Tagen im Gefängnis verurteilt, die Geldstrafen für ein Erstvergehen wurden in diesem Jahr auf umgerechnet 130 Euro verdoppelt. Abdulayi kam bislang immer irgendwie davon.
Er sieht sich nicht als Kriminellen. „Ich mache das seit elf Jahren, als mein Vater starb“, sagt er. Damals brach er die Schule ab und begann, noch tagsüber, mit dem Transport des Sandes vom Strand, um die Familie zu ernähren. „Warum soll das plötzlich etwas Schlimmes sein?“, sagt Abdulayi, der ein T-Shirt eines amerikanischen Fußballvereins trägt, gekauft auf einem Markt für Gebrauchtkleidung. An Sand mangele es im Senegal schließlich wirklich nicht.
Da liegt er falsch. Der Bauboom der vergangenen Jahre im Senegal hat die Nachfrage nach Sand als elementaren Bestandteil von Beton und Asphalt deutlich erhöht. Wie an den meisten Orten der Welt. Die Vereinten Nationen bezeichnen das Sediment als den nach Wasser – am Volumen gemessen – meistgehandelten Rohstoff der Welt. Verbraucht werden mehr als 40 Milliarden Tonnen jährlich. Allein in China wurde zwischen den Jahren 2011 und 2014 mehr Beton verbaut als in den USA während des gesamten 20. Jahrhunderts.
Das sollte doch gerade im Senegal kein Problem sein, möchte man anmerken. Es gibt schließlich zu viel Sand. Die Wüsten breiten sich aus, 50.000 Hektar Land gehen jährlich an die Sahara verloren. In den vergangenen Jahren wurden 12 Millionen Bäume gepflanzt, um eine Barriere für die Wüste zu schaffen. Zu ähnlichen Bemühungen haben sich auch 20 andere afrikanische Länder bereit erklärt, es soll eine 8000 Kilometer lange „Grüne Mauer“ von West- nach Ostafrika entstehen. So große Fortschritte wie der Senegal hat aber bislang kaum ein Land erzielt.
Doch der wahrlich ausreichend verfügbare Wüstensand ist für den Bau nicht geeignet. Er ist vom Wind zu klein und rund gerieben, sagt Boubacar Fall, Professor für Klimaschutz an der Universität Cheikh Anta Diop in Dakar. Am besten eignet sich Flusssand, weil er nicht mit Salz verunreinigt ist. Doch auch an den Küsten so mancher Länder seien inzwischen so große Mengen abgetragen worden, dass der fehlende Sand die Effekte des Klimawandels erheblich verstärke, sagt der Wissenschaftler. „Im Norden unseres Landes gibt es ganze Siedlungen, die weggespült sind.“ Dabei seien sogar Menschen getötet worden. Der Hauptgrund sei der Klimawandel, „aber die Rolle des Sandabbaus wird unterschätzt – er hat in einigen Gegenden einen ähnlich großen Anteil an dem Problem“. Die katastrophale Entwicklung der Küsten habe sich in jedem Fall beschleunigt.
Weltweit gibt es inzwischen strenge Gesetze gegen den Diebstahl von Sand, nicht zuletzt, weil um das Jahr 2000 sowohl in Taiwan als auch Portugal Brücken einstürzten, weil am Fundament zu viel Sand abgepumpt worden war – in Portugal kamen dabei 70 Menschen ums Leben. Strittig ist noch, ob wie von Aktivisten behauptet auch eine Brücke in Indien im Jahr 2016 aus diesem Grund einstürzte, auch dort starben Dutzende.
Immer mehr Länder limitieren die Förderquoten und vergeben nur noch wenige Lizenzen. Bisweilen wirken die Maßnahmen beinahe skurril: In Sardinien wurde ein französisches Paar verhaftet, das nach dem Urlaub 40 Kilogramm des legendären weißen Sandes mit nach Hause nehmen wollte, nach eigenen Angaben als Souvenir. Nun drohen ihnen bis zu sechs Jahre im Gefängnis. Im vergangenen Jahr kam ein britischer Tourist noch mit einer Geldstrafe in Höhe von rund 1000 Euro davon.
Auf der italienischen Mittelmeerinsel sorgt man sich in erster Linie um den Tourismus, schließlich sind die ungewöhnlich weißen Strände dafür das Aushängeschild. In anderen Teilen der Welt geht es längst um mehr. In Indien, nach China derzeit der zweitgrößte Sandverbraucher der Welt, hat die Sandförderung der Flüsse zum Sinken des Grundwasserspiegels beigetragen und die ohnehin teils dramatische Wasserknappheit verschärft. Nicht nur die Menschen in Küsten- und Ufernähe leiden, auch einige Tierarten sind deshalb vom Aussterben bedroht.
Der Erfolg der Behörden ist überschaubar. Zum einen geht die indische Sandmafia mit großer Brutalität vor. Seit dem Jahr 2014 tötete sie mindestens 70 Menschen, berichtete das Magazin „Foreign Policy“, darunter seien Polizisten, Regierungsmitarbeiter und Whistleblower gewesen. Auf der anderen Seite haben die Drahtzieher nach Angaben von „National Geographic“ reichlich Polizisten auf dem Gehaltszettel.
Dieses Ausmaß der Gewalt hat das Gewerbe in Afrika bislang nicht erreicht, wenngleich die Vereinten Nationen im Mai Marokko eine „florierende Sand-Mafia“ attestierten. Mehr als die Hälfte des dort verbrauchten Sandes stamme aus illegaler Förderung. Und im Norden des Senegal ist der Ort Saint-Louis nach UN-Angaben wie keine andere Stadt Afrikas vom steigenden Meeresspiegel bedroht. Die Küstenlinie verschiebe sich jährlich um bis zu zehn Meter ins Landesinnere. Die Weltbank investiert in den Bau von Schutzwällen, auch Frankreich versprach im vergangenen Jahr 15 Millionen Euro.
Es geht darum, die Lebensadern Westafrikas zu bewahren – mit Maßnahmen gegen den Klimawandel, aber auch hausgemachte Probleme wie den illegalen Sandhandel. Denn die Küsten sind wirtschaftlich meist stärker als die Städte im Landesinneren, überproportional viele Menschen leben in Meeresnähe. Aktuell sind es über 100 Millionen. Dort wachsen die Städte oft am schnellsten, in die es die Bevölkerung infolge der Urbanisierung zieht.
Die senegalesische Regierung habe die bestehenden Gesetze vor drei Jahren erheblich verschärft, sagt Professor Fall, es seien sogar Spezialeinheiten geschaffen worden. Seitdem gebe es nur noch wenige Lizenzen in klar festgelegten Abschnitten. „In der Praxis bleibt die Durchsetzung aber auf dem Land schwierig“, sagt Fall, „dafür hat die Polizei weder ausreichend Personal noch Ausrüstung zur Verfügung.“
Besonders unter den Landwirten sei das Gewerbe weit verbreitet. Während der Trockenzeit, in der sich kaum Agrarwirtschaft betreiben lasse, würden Farmer mit Sand ihr Einkommen aufbessern. Entsprechend wehren sich oft ganze Gemeinden, wenn die Polizei Verhaftungen vornehmen will, sagt Fall.
In Kayar sind die Leute im Zwiespalt. Auf der einen Seite sind die Folgen der fortschreitenden Küstenerosion deutlich zu sehen. Eine Familie zeigt ihr halb zerstörtes Haus wenige Meter vom Ufer entfernt, das vor einigen Jahren teilweise eingestürzt ist. Doch sie berichten auch, dass die Küsten inzwischen so überfischt seien, dass im Vergleich zu vor zehn Jahren nicht einmal mehr die Hälfte der Fische gefangen würden. Der Anteil der Fischer an den Migranten, die sich auf den Weg nach Europa machen, sei auch deshalb überdurchschnittlich groß. Diejenigen, die bleiben, müssten ja von irgendetwas leben, betont eine ältere Frau.
So argumentiert auch Abdulayi, der Sanddieb. Er habe sich mehrfach um andere Jobs gekümmert, aber ohne Erfolg, seine sechs Jahre in der Schule haben nur zu geringen Schreib- und Lesekenntnissen geführt. „Wenn ich eine Alternative hätte, dann würde ich sofort aufhören“, sagt er, „aber ich habe keine.“
Er fühlt sich, wie so viele im Senegal, als Verlierer des wirtschaftlichen Aufschwungs. Denn in der Gegend wird mit großen Maschinen Sand gefördert, um Titan-Mineralien wie Ilmenit herauszufiltern, das bei der Herstellung von Keramik und Farben zum Einsatz kommt. Die oft ausländischen Firmen behaupten, dass die dabei verwendete Technik keine negativen Auswirkungen für Erosion habe, 98 Prozent des Sandes werde wieder der Düne zugeführt.
Abdulayi kann das nicht überzeugen. Arbeit für ihn gibt es bei den beteiligten Firmen nicht. „Wenn solche Projekte erlaubt werden, wie kann man es uns dann verbieten?“ Der Sanddieb erwartet keine Antwort. In der nächsten Nacht wird er wieder losziehen.